Lange habe es gedauert. Aber er sei mittlerweile versöhnt mit Österreich, sagte der US-amerikanische Neurowissenschafter Eric Kandel kürzlich beim Besuch von Wissenschaftsjournalisten in New York, wo er nach seiner Vertreibung 1939 aus Wien ein neues Zuhause gefunden hatte. Wahrscheinlich fällt es ihm deswegen leicht, seinen 90er in seiner Geburtsstadt zu feiern. Bereits am Mittwoch lädt Bürgermeister Michael Ludwig im Rathaus ihm zu Ehren zu einem Empfang. Am Ehrentag selbst, dem Donnerstag, veranstalten Med-Uni und Uni Wien ein Fest unter dem Motto "Happy Birthday, Eric". Die Laudatio hält Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Eric Kandel bei einem seiner zuletzt zahlreichen Wien-Besuche.
Foto: Fischer

Kandel wollte eigentlich Psychoanalytiker werden, dann spezialisierte er sich auf das, was in diesem Fach besonders relevant ist: die Erinnerungen. So kam er zur Hirnforschung und zu der Überlegung, was Gedächtnisleistung überhaupt erst möglich macht: jene Übertragungen von Signalen zwischen Nervenzellen, für deren Beschreibung er im Jahr 2000 gemeinsam mit Arvid Carlsson und Paul Greengard den Medizinnobelpreis erhielt.

Danach entdeckte man ihn hierzulande, was er aber nur zögernd zuließ. Bis heute arbeitet er täglich, legt die Strecke von zu Hause ins Büro und wieder zurück zu Fuß zurück – und er schreibt Bücher, zuletzt Was ist der Mensch? (Siedler, 2018). Seine Bücher, auch Begegnungen mit ihm, sind reich an traurigen wie heiteren Geschichte, die der Wissenschafter mit der charakteristischen Fliege im Knopfloch gern erzählt. Eine kleine Zitatensammlung, beginnend mit dem sogenannten Anschluss am 12. März 1938:

Der Wissenschafter im O-Ton

"Jetzt kam die Überraschung: Statt auf wütende Volksmengen von Österreichern zu stoßen, wurde Hitler von einer satten Mehrheit der Bevölkerung begeistert begrüßt." (Kandel über Hitlers Einmarsch)

"In keiner Stadt des nationalsozialistischen Machtbereichs wütete der Mob in dieser Nacht so entfesselt wie in Wien. (....) In ihrer Gesamtheit teilten die Deutschen den bösartigen Antisemitismus der Österreicher nicht. Wie konnten dann Wiens kulturelle Werte so radikal von seinen moralischen Werten getrennt werden? Ein wichtiger Grund für das Verhalten der Wiener im Jahr 1938 war sicherlich reiner Opportunismus." (Über die Reichspogromnacht)

"Ich kann den Antisemitismus nicht verstehen. Wie kann man gegen Menschen sein, die Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft so positiv geprägt haben?" (Erinnerungen 80 Jahre nach der Flucht vor den Nazis)

Die Psychoanalyse zog mich auch (...) an, weil Freud, ein Wiener und Jude wie ich, die Stadt ebenfalls hatte verlassen müssen und weil bei der Lektüre seiner Werke auf Deutsch eine Sehnsucht nach dem geistigen Leben in mir erwachte, von dem ich so viel gehört, das ich aber nie erlebt hatte." (Über die Entscheidung, Psychoanalytiker zu werden)

"In meinem letzten Jahr dachte ich, auch ein Psychoanalytiker sollte über das Gehirn Bescheid wissen. Ich ging zu Harry Grundfest und arbeitete sechs Monate lang in seinem Labor. Ich liebte es." (Über das Interesse, die physiologische Basis der Erinnerung zu studieren; Grundfest war in den 1950er-Jahren einer der wichtigsten Neurophysiologen)

"Ein gemeinsamer Freund hatte mir von ihr erzählt, und ich rief sie an, um mich mit ihr zu verabreden. Im Laufe unseres Gesprächs machte sie mir klar, dass sie viel zu tun habe und nicht sonderlich an einem Treffen interessiert sei." (Kandel über die 1933 geborene französische Epidemiologin Denise Bystrin, mit der er seit 1956 verheiratet ist)

Vereinnahmung durch Österreich

"Als ich den Nobelpreis bekam, wollten ihn viele Österreicher für sich reklamieren. Da musste ich einigen erst erklären, dass ich Amerikaner bin." (Über die Reaktion Österreichs auf seinen Nobelpreis)

"Das war die längste Zeit sehr negativ, dann wurde es ambivalent, und nun schwingen angenehme Obertöne mit. Was unter anderem daran liegt, dass ich Bundespräsident Heinz Fischer gut kenne und ihn sehr schätze. Ich war auch sehr froh, als ich hörte, dass der Dr.-Karl-Lueger-Ring umbenannt wird, was ich seit Jahren forderte. Auf diese Weise erlebe ich eine Art von Versöhnung mit Österreich und Wien." (Kandel über sein Verhältnis zu Österreich, 2012; damals war Fischer Bundespräsident)

"Ich bin fest davon überzeugt, dass Strategien umgesetzt werden müssen, Juden nach Österreich zu bringen oder jene hierzubehalten, die gekommen sind, um zu studieren, aber nicht bleiben können, wie die Absolventen der Lauder Business School." (Rede zur Eröffnung des Hauses der Geschichte, 2018, gehalten vom Historiker Oliver Rathkolb; Kandel war erkrankt)

"Ist das wirklich so? In den USA ist man mit 61 ein Kind. Ich arbeite Vollzeit, werde Vollzeit bezahlt." (Auf die Frage, warum er mit 90 noch arbeitet und nicht, wie in Österreich üblich, mit 61 in den Ruhestand gegangen ist)

"Ich gehe viel, das hält mich jung." (Über das Geheimnis seiner Fitness im hohen Alter)