Immer öfter wendet das AMS Sanktionen an.

Foto: APA/Schlager

Wien – Wie viel Druck und Zwang soll die Gesellschaft auf Arbeitslose ausüben? Über diese Frage wird auch in Österreich oft kontroversiell diskutiert. Die Debatte ist keineswegs eine rein akademische Diskussion. Das Arbeitsmarktservice (AMS) hat eine Reihe von Sanktionsmöglichkeiten gegen tatsächliche oder vermeintliche Arbeitsunwillige, die auch eingesetzt werden.

Im ersten Halbjahr 2019 hat das Arbeitsamt insgesamt 71.634 Sanktionen gegen Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe verhängt. Das ist um 17 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2018. Dabei war die Zahl der Sperren von Versicherungsleistungen schon im vergangenen Jahr deutlich angestiegen.

Messlatte Konjunktur

Woran liegt das? Zentral für die Zahl der Sperren ist traditionell die Wirtschaftslage. Wenn die Konjunktur brummt, melden Unternehmen viele offene Stellen an das AMS. Dann werden entsprechend mehr Arbeitslose vom Arbeitsamt dazu verpflichtet, sich bei Firmen vorstellen zu gehen. Das sorgt wiederum dafür, dass die Zahl der Problem- und Streitfälle steigt. Wer in Österreich Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezieht, ist verpflichtet, sich um offene Stellen zu bemühen.

So müssen sich Betroffene für offene Stellen bewerben, die ihnen das AMS schickt, und sich bei den Firmen vorstellen. Jobsuchende müssen eine freie Stelle annehmen, außer der Job ist unzumutbar. Das ist etwa in den ersten 120 Tagen der Arbeitslosigkeit der Fall, wenn das angebotene Gehalt unter 80 Prozent des Bruttolohnes vom letzten Job liegt.

Mehr Arbeitsverweigerer

Wer die Arbeitsaufnahme nun verweigert oder vereitelt, weil er sich nicht bewirbt oder nicht zum Vorstellungsgespräch kommt, dem droht die Sperre des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe für zunächst sechs Wochen. Im Wiederholungsfall sind es acht. Auch wer im Vorstellungsgespräch absichtlich dafür sorgt, dass er den Job nicht bekommt, wird sanktioniert. Die Unternehmen können das ans AMS zurückmelden. Ein Beispiel von solchen Rückmeldungen: Arbeitslose gehen zum Bewerbungstermin, verlangen dann aber weit mehr Geld, als laut Kollektivvertrag zustehen würde. Das gilt als Vereitelung.

Die Zahl der Sanktionen dafür, dass sich Arbeitslose weigern, einen Job anzunehmen, oder die Sache vereiteln, sind im ersten Halbjahr 2019 überproportional gestiegen: um mehr als 40 Prozent. So sollen mehr Unternehmen gemeldet haben, dass es Probleme mit Bewerbern gab. Wobei die Regeln in Österreich als strikt gelten: Auch wer Bewerbungsschreiben aufsetzt, die nicht ganz motiviert klingen, etwa durchscheinen lässt, dass er überqualifiziert ist, kann gesperrt werden.

Wenn die Unterkunft passt

Ein weiterer Grund für die Zunahme der Sanktionen ist, dass das Arbeitsmarktservice versucht, die überregionale Vermittlung von Jobsuchenden zu forcieren. Arbeitslose müssen in Österreich auch die Vermittlung in andere Bundesländer akzeptieren, wenn dem keine Betreuungspflichten entgegenstehen und den Jobsuchenden am Arbeitsplatz eine "angemessene" Unterkunft angeboten wird. Von Unternehmerseite und der türkis-blauen Regierung wurde das AMS 2018 aufgefordert, aktiver zu werden. Dem Wunsch ist das Arbeitsmarktservice offenbar nachgekommen.

Sanktionen gibt es nicht nur, wenn Arbeitslose einen Job nicht annehmen. Auch wer nicht in Schulungen geht, verliert seinen Anspruch für mehrere Wochen. Seit 2014 wird zudem das tageweise Fernbleiben von Schulungen, wenn es unentschuldigt ist, geahndet – und zwar mit einer Sperre des Arbeitslosengeldes für diese Tage. Die Zahl der Strafen hat sich zuletzt mehr als verdoppelt.

Sperre der Mindestsicherung

Sanktionen gibt es nicht nur vom AMS aus. Auch Bezieher der Mindestsicherung sind verpflichtet, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, sofern sie nicht zu alt, zu jung oder krank sind. Für Auszahlungen sind die Bundesländer zuständig. Das AMS meldet Verweigerer automatisch an die Länder. Interessant ist, dass in Wien die Zahl der Sperren der Mindestsicherung seit 2018 nicht gestiegen ist. Worauf die Unterschiede basieren, ist unklar. (András Szigetvari, 6.11.2019)