Wer anderen unbedingt näherkommen will, nimmt es mit der Wahrheit nicht immer so genau.

Foto: University of Rochester photo / J. Adam Fenster

Strategien, um potenzielle Sexualpartner zu beeindrucken, sind in der Natur vielfältig und weitverbreitet – natürlich auch unter Menschen. Wer sich nicht aufplustern kann wie ein balzender Vogel oder wie ein Molch die Farbe wechselt, greift eben zu anderen Verhaltensweisen, um attraktiver zu erscheinen. Bei Homo sapiens zählen Lügen, Beschönigungen und Täuschungsmanöver dazu.

Ein britisch-israelisches Forscherteam hat dieses Verhalten nun in einer Reihe von Experimenten an Studenten untersucht. Die Hypothese der Forscher: Sexuelle Gedanken oder Erregung erhöhen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Menschen versuchen, gegenüber unbekannten Personen des anderen Geschlechts in möglichst positivem Licht zu erscheinen – auch auf Kosten der Wahrheit oder eigener Überzeugungen.

Sexuelle Reize

Für ihre Studie im "Journal of Experimental Social Psychology" rekrutierten die Wissenschafter 634 heterosexuelle Studenten, darunter 328 Frauen und 306 Männer. Die Probanden waren im Durchschnitt knapp 25 Jahre alt und wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe wurde im Rahmen der Untersuchung sexuellen Reizen ausgesetzt – konkret: Sie bekamen erotische Bilder und Videos zu sehen. Der Kontrollgruppe wurden Aufnahmen ohne sexuellen Inhalt gezeigt. Unmittelbar danach mussten die Studienteilnehmer jeweils mit ihnen unbekannten Personen des anderen Geschlechts interagieren.

Im ersten Versuchsteil sollte das Probandenpaar gegensätzliche Positionen vertreten und versuchen, das Gegenüber zu überzeugen. Die Forscher gaben den Studenten vor, welchen Standpunkt sie einnehmen sollten. Danach wurde ausgewertet, inwieweit die Teilnehmer bereit waren, von der ihnen vorgegebenen Meinung abzuweichen. Das Ergebnis: Teilnehmer, die zuvor mit sexuellen Inhalten konfrontiert worden waren, schlossen sich weitaus häufiger der Meinung ihres Gegenübers an. Die Wissenschafter werten das als Strategie, um einen günstigen Eindruck auf die unbekannte Person des anderen Geschlechts zu machen beziehungsweise ihr näherzukommen.

Im zweiten Experiment untersuchten die Forscher, inwieweit Studienteilnehmer bereit waren, ihre eigenen Ansichten oder Vorlieben an die des Gegenübers mit anderem Geschlecht anzugleichen. Dafür mussten die Probanden zunächst einen Fragebogen ausfüllen und zu diversen Themen Stellung nehmen. Dann wurden sie mit den Meinungen und Präferenzen einer anderen Person konfrontiert und konnten dieser ein Onlineprofil von sich selbst zukommen lassen. Wie sich zeigte, glichen die Studienteilnehmer ihr Profil eher den Ansichten der Person anderen Geschlechts an, wenn sie zuvor sexuelle Inhalte gesehen hatten.

Falsche Angaben zu Sexpartnern

Im letzten Teil ging es um die Anzahl früherer Sexualpartner. Die Teilnehmer mussten zunächst in einem Fragebogen angeben, mit wie vielen Personen sie in der Vergangenheit Sex hatten. Dann mussten sie sich mit attraktiven, vermeintlich anderen Probanden in einem Onlinechat austauschen. Tatsächlich war das jeweilige Gegenüber aber ein Mitglied des Forscherteams, das den Chat irgendwann auf das Thema Sexpartner lenkte.

Das Resultat fiel eindeutig aus, schreiben die Wissenschafter: Die sexuell angeregten Studienteilnehmer tendierten deutlich dazu, im Chat eine niedrigere Zahl an früheren Sexpartnern zu nennen als im Fragebogen. Die Forscher vermuten, dass sowohl männliche wie weibliche Teilnehmer eine zu hohe Zahl an früheren Sexkontakten als abschreckend für potenzielle neue Partner einstuften. Die am öftesten genannte fingierte Zahl lautete übrigens sieben.

Für die Wissenschafter bestätigt die Studie, dass sich sexuell erregte Menschen stärker darum kümmern, wie sie von Personen anderen Geschlechts wahrgenommen werden. "Menschen tun und sagen fast alles, um eine Verbindung zu einer unbekannten, attraktiven Person aufzubauen", sagte der Erstautor Gurit Birnbaum vom Interdisciplinary Center Herzliya. "Wenn dein sexuelles System aktiviert ist, neigst du dazu, dich selbst im bestmöglichen Licht zu präsentieren – und besser darzustellen, als du eigentlich bist." (dare, 9.11.2019)