In Wien gibt es aktuell zehn Begegnungszonen: Herrengasse, Führichgasse und Maysedergasse im ersten Bezirk, im Bereich Rochusmarkt (3.), Wehrgasse (5.), Schleifmühlbrücke (6.), Mariahilfer Straße inklusive Andreasgasse (6., 7.), Lange Gasse (8.), Reschgasse (12.) und Probusgasse (19.).

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Am 14. November wird die Begegnungszone Rotenturmstraße eröffnet, am 18. November folgt die Otto-Bauer-Gasse.

Grafik: Der Standard

Wien – Es werde Politik auf dem Rücken der Unternehmer gemacht. Oder: Die Politik peitsche ein kommunalpolitisches Prestigeprojekt durch. Der Widerstand vor allem von ÖVP, FPÖ und Wirtschaftskammer gegen die Umgestaltung der Mariahilfer Straße in Wien vor fünf Jahren war enorm. Heute gilt das rot-grüne Projekt als Erfolgsbeispiel einer verkehrsberuhigten Einkaufsstraße. Sie ist in drei Abschnitte geteilt: Im Bereich Museumsquartier bis Kirchengasse sowie von der Andreasgasse bis zur Kaiserstraße ist sie eine Begegnungszone, dazwischen eine Fußgängerzone. Während in der Fußgängerzone Autos verboten sind, dürfen diese in der Begegnungszone mit bis zu 20 km/h fahren. Ein gleichberechtigtes Nebeneinander aller Verkehrsteilnehmer ist das oberste Gebot der mischgenutzten Verkehrsflächen.

Wirtschaftskammer vollzieht Schwenk

Dass Begegnungszonen nicht nur in Sachen Verkehrsfairness punkten, hob kürzlich auch die Wirtschaftskammer Wien hervor. Sie überraschte mit einem Meinungsschwenk: Gegen die neue Mariahilfer Straße war die ehemalige Präsidentin Brigitte Jank noch Sturm gelaufen. Standortanwalt Alexander Biach hob nun die Wertschöpfung hervor, die solche Zonen bringen können.

Untersucht wurden Straßen und Plätze im ersten Bezirk. Etwa die Wiener Herrengasse, die 2016 umgestaltet wurde und wo es nun eine jährliche Wertschöpfung von 1,1 Millionen Euro gibt. Biach schloss daraus, dass die Stadt pro Bezirk eine Begegnungszone brauche und Budgetmittel, nämlich eine Million Euro pro Bezirk, zur Verfügung zu stellen seien. Die rund sechs Millionen Euro teure Umgestaltung der Herrengasse wurde übrigens zum Großteil von Privaten finanziert, die Stadt steuerte 480.000 Euro bei.

Hebein will mehr verkehrsberuhigte Zonen

Auch Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) will verkehrsberuhigte Zonen in Wien weiter forcieren. Im STANDARD-Interview sprach sie davon, mit der Wirtschaftskammer neue Zentren zu definieren und diese zu stärken – etwa in Floridsdorf oder in Landstraße. Die Grünen im dritten Bezirk fordern schon länger eine teils verkehrsberuhigte Landstraßer Hauptstraße.

2015 gaben sie eine Studie in Auftrag, Harald Frey von der TU Wien schlug eine Begegnungszone zwischen Salmgasse und Rochusgasse vor. Umgesetzt wurde bislang nur ein wenige Meter langer Abschnitt beim Rochusmarkt. Auch heute stehen die Landstraßer Grünen noch zu einer Ausweitung, wie Klubchef Bora Akcay zum STANDARD sagt. Allerdings stellt die SPÖ mit Erich Hohenberger den Bezirksvorsteher und drückt noch auf die Bremse.

In Wien können solche Zonen von den Bezirken beantragt werden. Die Machbarkeit wird dann von der MA 46 (Verkehrsorganisation) geprüft, die Verkehrsstadträtin Hebein untersteht. In den restlichen Bundesländern sind Begegnungszonen Städte- und Gemeindesache.

Begegnungszonen gibt es erst seit 2013

Die Schaffung von Begegnungszonen ist erst seit März 2013 möglich. Erlaubt ist regulär eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Die Behörden können aber auch ein 30-km/h-Limit festsetzen, sofern es in puncto Verkehrssicherheit keine Bedenken gibt.

Interessant ist, dass weder Verkehrsministerium noch Gemeindebund oder Statistik Austria Daten zu Begegnungszonen in Österreich erheben, wie es auf Anfrage heißt. Der Verein "walk-space.at – Der Österreichische Verein für Fußgängerinnen" listet aktuell 71 Begegnungszonen auf – "allesamt gute Beispiele", wie Dieter Schwab vom Verein ergänzt. Insgesamt, schätzt er, gebe es in Österreich um die 200 Begegnungszonen. "Da sind aber auch Beispiele dabei, wo nur die Verkehrszeichen aufgestellt wurden."

Rotenturmstraße und Otto-Bauer-Gasse vor Eröffnung

Grafik: Der Standard

In Wien gibt es derzeit zehn Begegnungszonen, wobei die Mariahilfer Straße mit insgesamt 1,5 Kilometer Länge herausragt. Zuletzt wurde im April 2019 eine 270-Meter-Zone in der Probusgasse in Döbling eröffnet.

Schon bald werden zwei weitere eingeweiht: die Rotenturmstraße am 14. November, die Otto-Bauer-Gasse am 18. November (siehe Grafik).

Bis Herbst 2020 wird auch die Neubaugasse zur Begegnungszone. Zwei Straßen in der Seestadt Aspern sowie ein Teil der Zollergasse von der Mariahilfer Straße bis zur Lindengasse werden ebenfalls umgestaltet. Überlegt wird eine Zone für die Schelleingasse in Wieden.

Diskussion um Währinger Straße

In Währing ließ man im vergangenen Jahr die Gelegenheit vorbeiziehen, eine Begegnungszone umzusetzen. Die Umgestaltung der Währinger Straße musste kurzfristig geplant werden, weil Wasserrohre dringend auszutauschen waren. Eine Begegnungszone ist es auch deshalb nicht geworden, weil, wie Bezirkschefin Silvia Nossek (Grüne) sagt, die politischen Mehrheiten nicht gegeben waren. Die Grünen waren interessiert, der Rückenwind der Wirtschaftskammer aber noch nicht da. "Wäre der Schwenk früher gekommen, ich hätte einen Tick länger diskutiert", so Nossek.

Mit der Umgestaltung ist sie dennoch zufrieden: Die Gehsteige wurden verbreitert, Sitzgelegenheiten geschaffen, Querstraßen mit Schwellen versehen und Bäume gepflanzt. Ein Jahr später ist auch der Großteil der Unternehmer laut Nosseks Angaben zufrieden – und hat verschmerzt, dass es nun 13 Parkplätze weniger gibt.

"Die Leute gehen gerne zu Fuß, trinken einen Kaffee und bleiben vor den Schaufenstern stehen", kann sie den Schwenk der Wirtschaftskammer nachvollziehen. "Die Welt dreht sich weiter", stimmt sie das für künftige Projekte zuversichtlich.

Allerdings sieht sie Begegnungszonen nicht als Ultima Ratio, es gebe auch andere Wege zur Verkehrsberuhigung. Sie seien aber ein weiteres Instrument, um ein Ziel zu erreichen: "Wir müssen alle weniger Auto fahren, um eine lebenswerte und klimafreundliche Stadt zu schaffen." (Rosa Winkler-Hermaden, David Krutzler, 6.11.2019)