Manchmal balancieren auch Schimpansen auf zwei Beinen durch das Geäst, aber eigentlich ist das eine Spezialität der Orang-Utans.
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Um den Ursprung der Zweibeinigkeit zu erklären, wurden bereits zahlreiche Hypothesen vorgebracht und wieder verworfen. Ein Grund für die große Unsicherheit ist der Mangel an aussagekräftigen Fossilien. Faktum ist jedenfalls, dass die frühen Ahnen des Menschen vermutlich im Verlauf des Miozäns die Fortbewegung auf allen vieren hinter sich ließen und dazu übergingen, auf zwei Beinen einherzuschreiten. Auf der Grundlage von teilweise umstrittenen Funden grenzten Evolutionsbiologen diesen markanten Schritt mittlerweile auf eine Zeit vor fünf bis sieben Millionen Jahren ein.

Warum es zu dieser Entwicklung kam, hängt nach Ansicht der Forscher untrennbar mit der Frage zusammen, wie sich unsere Vorfahren vor dem Wechsel zur Bipedie fortbewegten: Waren sie Baumbewohner, die sich durch das Geäst hangelten, oder lebten sie bereits als Vierbeiner auf dem Boden? Die Entdeckung einer bisher unbekannten Menschenaffenspezies in Deutschland könnte darauf nun vielleicht erstmals eine fundierte Antwort liefern. Mehr noch: Der Fund lässt sogar darauf schließen, dass der aufrechte Gang womöglich bedeutend früher entstanden ist als bisher gedacht.

Gewagte Vergleiche

Um den Wurzeln der Bipedie auf die Spur zu kommen, untersuchen Paläoanthropologen auch die heute lebenden nächsten Verwandten des Menschen: Schimpansen und Bonobos verbringen den Großteil ihrer Wachzeit auf dem Boden, wo sie meist unter Einsatz der Fingerknöchel auf allen vieren unterwegs sind. Zum Schlafen oder bei Gefahr ziehen sie sich in die Bäume zurück. Aufgrund der genetischen Nähe zum Menschen und von anatomischen Parallelen bei Händen und Füßen vermuten manche Forscher, dass auch unsere affenähnlichen Urahnen beim Gehen auf dem Boden zunächst ihre Knöchel einsetzten.

Im Unterschied dazu bewegen sich Orang-Utans jedoch sehr geschickt auf zwei Beinen durch die Bäume. Die festgestellten biomechanischen Ähnlichkeiten zwischen dieser Fortbewegungsart in luftiger Höhe und dem Gang des Menschen könnten wiederum bedeuten, dass auch die ersten vormenschlichen Zweibeiner ihr Leben hauptsächlich auf den Bäumen verbrachten. Dieser Zugang hat jedoch seine Grenzen: Von den modernen Menschenaffen auf die Anatomie unserer ersten aufrechten Vorfahren zu schließen, sei eine gewagte Angelegenheit, geben viele Forscher zu bedenken – zumal die wenigen bisher entdeckten Fossilien kaum Ähnlichkeit mit den Knochen heutiger Menschenaffen haben.

Die 21 freigelegten Knochen – rund 15 Prozent des gesamten Skelettes – weisen auf ein etwa 31 Kilogramm schweres und einen Meter großes Männchen hin, das gut klettern konnte und aufrecht ging.
Foto: Christoph Jäckle

Spektakulärer Fund

Entscheidende Impulse liefert nun der Fund eines potenziellen gemeinsamen Ahnen von Mensch und Menschenaffe, der in einer Reihe mit ähnlichen Entdeckungen der vergangenen Jahre steht: Ein Team um Madelaine Böhme von der Universität Tübingen und dem Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment hat zwischen 2015 und 2018 in der Tongrube Hammerschmiede im Unterallgäu die versteinerten Überreste eines bisher unbekannten Menschenaffen ausgegraben.

Das Besondere an dem Danuvius guggenmosi getauften, zu Lebzeiten etwa einen Meter großen Wesen: Es bewegte sich vor rund 11,6 Millionen Jahren sowohl kletternd als auch auf zwei Beinen fort. Das zumindest ergab die nun im Fachblatt "Nature" erschienene Analyse der Arm-, Bein-, Wirbel- sowie Finger- und Zehenknochen, die zusammen gut 15 Prozent des ursprünglichen Skeletts ausmachen. "Zum ersten Mal konnten wir mehrere funktionell wichtige Gelenke in einem einzigen fossilen Skelett dieses Alters untersuchen", sagt Böhme. "Zu unserem Erstaunen ähnelten einige Knochen mehr dem Menschen als dem Menschenaffen."

Kleines Kuriosum am Rande: Das am Mittwoch vorgestellte Danuvius-Fossil erhielt von den Wissenschaftern den Beinamen Udo, nach Sänger Udo Lindenberg. Neben anderen Knochen entdeckten die Wissenschafter den knapp zwölf Millionen Jahre alten Unterkiefer des Primaten in einem Bachlauf am 17. Mai 2016, dem 70. Geburtstag des Sängers. "Im Radio sind nur seine Songs gelaufen", erinnert sich Böhme bei der Präsentation der Funde.

Aus den Fossilien von Udo rekonstruierte das Team den Aufbau weiterer Knochen.
Foto: Christoph Jäckle

Ungarischer Menschenaffe

Eine ähnliche nach ihrem Fundort in Ungarn benannte Spezies, der erstmals 1969 beschriebene Rudapithecus hungaricus, ließ bereits erahnen, dass der aufrechte Gang ein Charakteristikum früher Menschenaffen gewesen sein könnte. Dies dürfte Danuvius nun untermauern: Eines der wichtigsten Indizien für seine Zweibeinigkeit ist die S-förmige Wirbelsäule. "Außerdem kombinierte das Tier die von den hinteren Gliedmaßen dominierte Zweibeinigkeit mit dem von den vorderen Gliedmaßen dominierten Klettern", erklärt Koautor David Begun (University of Toronto).

Trotz vergleichbarer Funde in der Vergangenheit beurteilen die Forscher die aktuelle Entdeckung als herausragend: "Das ist eine Sternstunde der Paläoanthropologie und ein Paradigmenwechsel", sagte Böhme. Die Funde stellten demnach die bisherige Sichtweise auf die Evolution der großen Menschenaffen und des Menschen grundlegend infrage.

Nach Ansicht der Wissenschafter um Böhme liefert Danuvius guggenmosi das bisher plausibelste Modell eines gemeinsamen Ahnen von Mensch und Menschenaffe. Letztlich könnte der Fund endgültig bestätigen, was frühere Studien angedeutet haben: Dass sich der aufrechte Gang sechs Millionen Jahre früher als angenommen in Europa und nicht in Afrika entwickelt hat – und zwar bei Affen, die das Leben in den Bäumen noch lange nicht hinter sich gelassen hatten. (Thomas Bergmayr, 7.11.2019)