"Können Sie etwas sehen?", fragte Lord Carnarvon ungeduldig, als Howard Carter mit einer Kerze durch ein kleines Loch leuchtete, das er in eine Mauer geschlagen hatte, die rund 3250 Jahre zuvor errichtet worden war. "Ja, wunderbare Dinge!", antwortete der Ägyptologe. Als erster Mensch seit Jahrtausenden konnte er einen Blick auf die Grabausstattung Tutanchamuns werfen.
Wunderbare Dinge enthält auch eine andere Zeitkapsel – die noch dazu viel näher liegt als jene im fernen Ägypten. Im Apostelchor des Wiener Stephansdoms befindet sich das monumentale und reich verzierte Hochgrab Kaiser Friedrichs III. Von einer steinernen Balustrade umrahmt, ruht der tote Herrscher unter einem mehrere Tonnen schweren Deckel aus rotem Adneter Marmor. Dieser zeigt den Kaiser im Krönungsornat, mit dabei sein interpretationselastischer Wahlspruch AEIOU.
Ein Loch in der Wand
Von den Grablegen der 14 römisch-deutschen Herrscher des Spätmittelalters blieb einzig jene Friedrichs unangetastet. Fast, denn im Jahr 1969 wurde ein kleines Loch in die Seitenwand der Tumba gebohrt – es sollte die immer wieder auftauchende Frage geklärt werden, ob Friedrich überhaupt in dem Monument zur letzten Ruhe gebettet worden war.
Außer der Erkenntnis, dass das Grab tatsächlich belegt ist, sind kaum Details dieser Episode überliefert. Da aus konservatorischen Gründen eine komplette Öffnung des Grabes nicht möglich ist, nutzten Experten der Dombauhütte zu St. Stephan 2013 dieselbe Lücke, um sich mithilfe einer Endoskopkamera eine Übersicht über die Situation in der Tumba zu verschaffen. Ihnen bot sich ein Blick auf ein seit fünf Jahrhunderten unberührtes Bestattungsensemble. Mit den angefertigten Aufnahmen wurden Experten des Kunsthistorischen Museums (KHM) konsultiert. Die breit angelegte wissenschaftliche Kooperation lieferte eine ganze Reihe sensationeller Erkenntnisse. Diese wurden am Freitag im KHM bei der Forschungskonferenz Nahaufnahme erstmals präsentiert.
Jahrzehnteprojekt
Friedrich selbst hatte sein Grab bereits 1463, also dreißig Jahre vor seinem Tod, in Auftrag gegeben. Dennoch dauerte es weitere zwanzig Jahre bis zur Fertigstellung: Der verstorbene Kaiser musste inzwischen in der Herzogsgruft des Domes warten, bevor er 1513 seine endgültig letzte Ruhestätte beziehen konnte. Friedrichs Sohn Maximilian I. hatte das Projekt vorangetrieben und dies auch ausführlich dokumentiert. Ihm war die Inszenierung der Macht seines Vaters – des mit 53 Jahren längstdienenden römisch-deutschen Herrschers – wichtig. Der betriebene Aufwand diente natürlich auch dazu, Maximilians eigenen Ruhm zu mehren. Über die Grabausstattung selbst war bisher jedoch so gut wie nichts bekannt.
Begräbnisprunk
Die Bilder aus dem Inneren der Tumba zeigen, dass Maximilian nicht nur für die äußerliche Präsentation des Monuments keine Kosten gescheut hat. Friedrich liegt in einem Sarg aus glasierter Keramik. Der Leichnam ist mit prächtig gemusterten Bahnen aus Samt bedeckt, der Kopf des Kaisers ruht auf einem Kissen. Für die Beisetzung waren eigene Funeral insignien hergestellt worden: Szepter, Reichsapfel und Krone. Letztere ist mit Emailleeinlagen verziert und ist das älteste bekannte Beispiel für eine Mitrenkrone und damit ein Vorläufer der späteren österreichischen Kaiserkrone. Der Sarg wird von vergoldeten Inschriftentafeln flankiert. Auf diesen werden die Leistungen Friedrichs, aber auch jene Maximilians gepriesen, der seinen Vater in hoc precioso monomento ("in diesem wertvollen Denkmal") zur Ruhe legte.
Für die Forscher bedeutete das Projekt eine besondere Herausforderung, schließlich standen für die Analysen fast ausschließlich Bilder zur Verfügung. Nur wenige Proben wurden entnommen, diese geben Auskunft über die Herkunft des Keramiksargs aus dem Wiener Becken ebenso wie über den italienischen Ursprung der Stoffe.
Gleichsam zum Abschluss des Maximilian-Jahres 2019 ist für Dezember – unter dem Titel "in hoc precioso monomento" – eine umfassende Dokumentation der Forschungsergebnisse geplant. (Michael Vosatka, 8.11.2019)