Chefparfümeur Olivier Polge setzt das Werk seines Vaters fort.

Foto: Chanel

Die Pflücker haben schon einige Stunden Arbeit hinter sich. Seit sechs Uhr in der Früh stehen sie auf dem Feld, die breitkrempigen Hüte hängen ihnen in den Nacken, um die Hüften tragen sie Sammelschürzen. Die Männer und Frauen pflücken die cremefarbenen Blüten der Tuberose, erst in die Schürzen, dann in die Körbe.

Nachmittags stehen sie am Hauptgebäude Schlange, die Blüten müssen gewogen werden, bevor sie verwelken. So geht das hier auf den Tuberose-Feldern zwischen Grasse und Cannes von August bis Oktober sieben Tage die Woche. Seit 2011 lässt Chanel die anspruchsvolle Knolle anbauen, rund 255.000 Tuberose-Setzlinge verteilen sich heute auf 1,5 Hektar Boden.

Joseph Mul, ein älterer, braungebrannter Herr mit Schiebermütze und Poloshirt, und sein Schwiegersohn Fabrice Bianchi betreuen seit Ende der 1980er-Jahre insgesamt 20 Hektar Blumenfelder ausschließlich für den Luxuskonzern Chanel. Der damalige Parfumchef Jacques Polge hatte die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten initiiert, als der Jasminanbau in Grasse zurückging.

Mittlerweile hat Polges Sohn Olivier die Nachfolge als Chefparfümeur bei Chanel angetreten. Und die idyllisch daliegenden, händisch bewirtschafteten Blumenfelder des Monsieur Mul sind längst mehr als nur Grundlage für besonders exklusive Chanel-Parfums.

Postkartenidylle inmitten von Blumenfeldern: In Pégomas befindet sich die Bastide des Unternehmens Chanel.
Foto: Chanel

Sie fungieren als Marketinginstrument: Was eignet sich besser zum Bewerben von Düften (wie aktuell Gabrielle Chanel Essence) als jene Bilder aus der mediterranen Hügellandschaft?

Die Pflückfelder sollen den Mythos von Coco Chanels N° 5, dem ersten, in Grasse entwickelten Duft aus den 1920er-Jahren heraufbeschwören – und natürlich den jener kleinen, südfranzösischen Welthauptstadt der Parfumindustrie.

In Stiefeln übers Feld

So stapfen regelmäßig Journalisten und Influencer aus der ganzen Welt in Chanel-Gummistiefeln durch die südfranzösische Postkartenidylle und lassen sich erklären, wie die Blüten von Mairose, Jasmin, Rosengeranie, Iris und Tuberose von den Pflückern geerntet werden.

Und wie dann wenige Hundert Meter weiter in einem eigenen Betrieb aus den Blüten eine Wachspaste ("Concrète" genannt) und das "Absolue", eine hochkonzentrierte Flüssigkeit, gewonnen werden.

Foto: Chanel

Das Pariser Luxusunternehmen weiß den Aufenthalt in Pégomas als entspannten Ausflug zu inszenieren: Für die Besucher der Blumenfelder stehen cremefarbene Räder mit gebrandeten Weidenkörben für Selfies bereit, am Rande jedes Feldes stecken im Boden Holzschilder.

Auf ihnen ist nicht nur der Name der jeweiligen Blumenstaude, sondern auch international verständliche Hashtags wie #DansleschampsdeChanel und #ChanelGrasse vermerkt.

Auf Instagram kann man ausgesuchte Influencerinnen aus Paris bis Tokio dabei bewundern, wie sie durch die blühenden Felder streifen – in hellen Chanel-Schürzen und natürlich in Gummistiefeln. (Anne Feldkamp, RONDO exklusiv, 26.8.2021)