Ezra Pound, Autor der weltberühmten "Cantos" und eingebildeter Wirtschaftsreformer, 1969 in seinem venezianischen Exil.

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Manchmal begehrt es gerade die fortschrittlichsten Dichter danach, sich mit Vertretern der Staatsmacht auszutauschen wie mit ihresgleichen. Im Mai 1945 hatten die US-Militärbehörden ihren Landsmann Ezra Pound in Gewahrsam genommen. Pound, Großlyriker der US-Moderne, lebte damals als geschworener Parteigänger der italienischen Faschisten in Rapallo. Der Ruf eines exzentrischen Störenfrieds, der im Rundfunk seines Gastlandes wiederholt die Stimme gegen Amerika erhoben hatte, war dem Mann aus Hailey, Idaho, nicht in den Schoß gefallen. Pound (1885–1972) lebte und dichtete in dem Bewusstsein, die Welt müsse umgehend vom Joch der Hochfinanz befreit werden.

Die bizarre Vorstellung, Impulsgeber in Wirtschaft und Politik würden den Maßgaben kauziger Poeten folgen, ist ganz bestimmt nicht auf dem Mist Peter Handkes gewachsen. Das Schicksal Pounds zeigt exemplarisch auf, was passiert, wenn Künstler die unsichtbare Linie passieren, die die Felder von Politik und Literatur strikt voneinander trennt. Sie werden z. B. der Obhut der Psychiatrie überantwortet.

Wichtige Ratschläge

Pound, von den US-Behörden als Hochverräter eingeschätzt, entging nur um Haaresbreite dem elektrischen Stuhl. Aus Anlass seiner Festnahme hatte er noch darum gebeten, mit Truman und Stalin persönlich zu sprechen: Er hätte ihnen Ratschläge von äußerster Wichtigkeit zu erteilen.

Ezra Pound verstand sich nicht allein als Urheber fremdartig anmutender Langgedichte, der Cantos. Der Freund Eliots und Förderer James Joyce' besaß einen inneren Sendungsauftrag. Als Erzübel, das Millionen Menschen in Armut stürze, erschien ihm der "Wucher": die Verleih- und Zinspolitik der internationalen Geldgeber. Die unvermeidliche Differenz zwischen Preisen und Kaufkraft führe unweigerlich zu zyklischen Wirtschaftskrisen. Die Hochfinanz hätte um der Profite willen ein beträchtliches Interesse am Heraufbeschwören von Kriegen.

Pound wurde, nicht immer zum Besten seiner Dichtung, eine Art Wanderprediger, bald mit festem Wohnsitz in Norditalien. Er begehrte, mit Franklin D. Roosevelt zusammengeführt zu werden: 20 Minuten, so lautete das Kalkül des Dichters, und der US-Präsident wäre von Pounds Anliegen restlos überzeugt!

Das Mandat der Wahrheit

Poetische Wahrheitsverkünder sind keine Scharlatane. Was sie sagen, zeichnet sich – zumindest in ihren Augen – durch den hohen Grad von Verbindlichkeit aus. Erst sie, die Dichter, besitzen das Mandat, hinter der Epiphanie der Schönheit die geistige Wirklichkeit zu enthüllen.

Die Welt muss wieder so werden, wie sie (nie) war. Sie soll mit ihrem wahren Wesen in Einklang gebracht werden. Nicht die Dichter bezwingen das Schöne. Es verhält sich eher umgekehrt: Das Schöne ist es, das sich der Dichter und Seher bemächtigt. Es nimmt sie für sich ein, wählt sie zu seinem blinden Werkzeug.

Insofern ist der Hinweis auf die Verpflichtung durch die Schönheit ein moralisches, kein ästhetisches Gebot. Dieses handelt von der Wiederherstellung einer Überlieferung, die würdig und recht und somit auch politisch verbindlich sein soll.

Wut auf Kriegsberichterstatter

Handkes glühende Wut auf die journalistische Kriegsberichterstattung speist sich aus dieser Quelle. Er tadelt an den journalistischen Verwertungszwängen, was ihm an ihnen sekundär und abgeleitet vorkommt. Gegen sie wirft er das Wort des Dichters in die Waagschale. Es soll das letzte sein, das auch gegenüber Staatsmännern recht behält.

Nur so lässt sich erklären, dass der Norweger Knut Hamsun, Literaturnobelpreisträger von 1920 und unverbesserlicher NS-Sympathisant, glaubte, Adolf Hitler würde aus Anlass eines Treffens 1943 zu Wachs in seinen Händen. Der Greis bekämpfte sein Lampenfieber vor der Zusammenkunft mit einem vierfachen Cognac. Das Treffen endete in einem Eklat. Hamsun drang mit seinen politischen Anliegen beim "Gröfaz" nicht durch. Er äußerte zum Beschluss der Unterredung den bitteren Satz: "Wir reden gegen eine Wand." Der blieb unübersetzt.

Andere große Dichter der Moderne äußern ihr Unbehagen gegenüber einer aus dem Ruder laufenden Welt unflätig. Louis-Ferdinand Céline schrieb nicht nur ingeniöse Romane wie Tod auf Kredit. In ihnen übergoss er die Heuchelei der Gesellschaft mit Hohn. Er gebrauchte dazu eine Gossensprache, die alle hohltönenden Phrasen wie mit Säure auflöste. Gleichzeitig war Céline ein widerwärtiger Antisemit. Ein Autor seines Kalibers hätte vor Sätzen wie "Die Juden sind unser Unglück" unbedingt zurückschrecken müssen. Man wird sein Debüt Reise ans Ende der Nacht (1932) dennoch nur schwer entbehren wollen. (Ronald Pohl, 8.11.2019)