Wenn die Leber zwickt, gibt's eine Leberknödelsuppe, was sonst? Voodoo Jürgens bei einer standesgemäßen Jause.

Foto: Ingo Pertramer

Die deutsch-schweizerische Autorin und Kolumnistin Sibylle Berg fragte einmal in einem ihrer Texte, wo denn die ganzen Freaks hinverschwunden seien. Früher seien sie überall gewesen. Erkennbar an schräg geschnittenen und gefärbten Haaren, an eigenwilligen Moden und Ticks. Gruftis, Punks ... – wie sie alle hießen. Junge Menschen heute seien alle schrecklich gesund, gut riechend, sportiv, an den richtigen Stellen enthaart, leistungsstrebend und unauffällig. Verstecktes Freaktum werde höchstens feig ins Netz gekotzt.

Nicht bei Voodoo Jürgens. Er hat sich eine Nische eingerichtet, in der er den Freak lebt. Und wie. In der Diktatur der Angepassten, die oberflächlich betrachtet zugunsten des Schönen und Edlen Dienst versieht, verschreibt sich David Öllerer mit seiner Kunstfigur dem Grind. Wobei Kunstfigur und Darsteller gar nicht so weit auseinanderliegen sollen. Voodoo Jürgens gibt den Zuhälterlehrling im Espresso am Morgen und den Zecher im Tschocherl zu später Stund'. Dass da wie dort jetzt das Rauchen abgestellt wurde, veraußenseitert ihn umso mehr.

Volle Aschenbecher, ...

Voodoo Jürgens rechnet man dem Boom jener österreichischen Popmusik zu, der von Bands wie Wanda und Bilderbuch losgetreten wurde. Wobei sich keiner so dem Bodensatz verschrieben hat wie er. Nach dem Erfolg seines Debüts Ansa Woar (2016) erscheint nun das zweite Album des Mittdreißigers.

'S klane Glücksspiel ergibt sich, wie könnte es anders sein, der Obsession gegenüber Randgruppenexistenzen. Bereits das Cover betört die Zielgruppe mit vollen Aschenbechern, warmen Spritzern und einem Kartenspiel ums Arbeitslosengeld.

Die Kunst dabei: Voodoo Jürgens ertränkt sich nicht in der typisch österreichischen, passiv-aggressiven Nostalgie. Das Früher-war-alles-leiwander-Gewese erhebt in seiner Kunst nicht sein kahles Haupt. Dafür ist Jürgens zu jung, zu erfolgreich, zu gutaussehend – und zu haupthaarig. Dennoch badet der Tullner im Wiener Dialekt, wobei manchen Songs auch eine Dusche genügte. Doch ein Gschichtldrucker und Schmähführer schöpft natürlich aus dem Vollen.

’S klane Glückspiel – das Titellied des neuen Albums.
Voodoo Jürgens

Schon die Titel erschaffen ein Milieu, bei dem einem entweder das Herz aufgeht oder der Fluchtreflex anschlägt. Voodoo Jürgens singt vom Taxler, vom Ohrwaschlkräuler, er nennt seine Lieder Kumma ned oder Heast do hob i schon gnua und singt sie im Zustand eines immerwährenden Sodbrands.

Seine Gala stammt aus einer Zeit, als man am Wiener Praterstern noch Gewand und Schallplatten kaufen konnte. Aus dem Ausverkauf von 1983 kommt die Bundfaltenhose, und aus seinen Hemden sind schon mindestens zwei Generationen Gastarbeiter rausgestorben.

Angst haums von Voodoo Jürgens.
Voodoo Jürgens

So schaut er aus, so singt er seine Lieder, und zwischen Rotzbremse und Vokuhila schimmern blaue Augen. Die fünfköpfige Band schunkelt im Rhythmus des Beislschlagers, Refrains staubt er bei der Alltagssprache seines Soziotops ab: Die Beschwerde Kumma ned ergibt nämlich richtig eingesetzt eine perfekte Hookline mit Gassenhauerpotenzial. Die Musik passt sich Jürgens' Gemütsverfassung oder dem Promillespiegel an, die Schräglage ist ein erstrebenswerter Zustand, sie stellt Voodoo Jürgens' Perspektive auf die Welt sicher. Instrumentiert wird mit Quetsche, Geige, Stehbass, Keyboards, die Gitarrenriffs sind knapp, das Schlagzeug wischt, beserlt oder tögelt, der Geruch von Sliwowitz liegt in der Luft.

... zerdehnter Dialekt

Auf diese Weise entstehen textlastige Moritaten, von denen viele in der Tradition des Wienerlieds stehen. Er verbohrt sich mit quengelnder Stimme in biografisch gefärbte Anekdoten, denen sein zerdehnter Dialekt die Ranzigkeit eines alten Tischtuchs verleiht.

Das deutsche Publikum versteht ihn zwar nur bedingt, seiner Popularität dort tut das dennoch keinen Abbruch. Die Zeichen der Hingabe sind international lesbar. Und Voodoo Jürgens legt sich in jedem Song ins Zeug. Die Ballade ist eher nicht seine Form, selbst wenn es gemütlich schunkelt, herrscht eine Aufsässigkeit, die der Beschwerde besser ansteht als der Nachdenklichkeit.

Voodoo Jürgens ist näher an Helmut Qualtinger dran als an Wolfgang Ambros, ist eher bitter als süß, goschert statt poetisch, kein André Heller beim Sprachrittberger, lieber Tom Waits, den es am Eislaufplotz mit der Bierdose in der Hand auf die Gosch'n haut. Das ist auf weiter Flur einsam originell und natürlich ein ziemlicher Spaß. (Karl Fluch, 8.11.2019)