Tausende Soldaten der Vereinten Nationen sind in Mali stationiert. Die Gewalt in der Region nimmt in den vergangenen Wochen aber trotzdem zu. Hier auf dem Bild suchen UN-Soldaten in Gani-Do, in Malis zentraler Dogon-Region, nach Bomben.

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Der jüngste Angriff ist nur wenige Tage her: Bei einem Anschlag auf einen Konvoi mit Beschäftigten des kanadischen Goldproduzenten Semafo sind in Burkina Faso am Mittwoch mindestens 37 Menschen getötet und mehr als 60 verwundet worden. Die Bilanz sei vorläufig, teilten staatliche Stellen mit. Das Militär durchkämme die Region nach den Tätern. Der Konvoi aus fünf Bussen ist demnach auf der Straße zwischen Fada und der Goldgrube Boungou im Osten des Landes unterwegs gewesen. Er sei von Soldaten eskortiert worden. Der Angriff habe etwa 40 Kilometer von Boungou entfernt stattgefunden. Die Botschaft ist deutlich: Terrorgruppen machen längst keinen Halt mehr vor der Zivilbevölkerung und schüren allerorts Ängste und Misstrauen.

Burkina Faso grenzt unter anderem an Mali und Niger und liegt im Aktionsgebiet islamistischer Milizen. Und die schlagen seit geraumer Zeit vermehrt zu. Das hat zuletzt auch die Zahl der Binnenflüchtlinge erneut sprunghaft ansteigen lassen. 486.360 Menschen sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) auf der Flucht. Seit Jänner hat sich die Zahl mehr als verzehnfacht.

Neues Ausmaß an Sicherheitsrisiken

In Abarey im Niger, in Grenznähe zu Mali, starben kurz davor fünf Polizisten bei einem Anschlag. Im Zuge der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen für Mali (Minusma) sind aktuell 15.209 Blauhelm-Soldaten sowie Polizisten in der Region stationiert. Es ist die drittgrößte UN-Mission weltweit. Hinzu kommen verschiedene Ausbildungsinitiativen. Und dennoch breitet sich der Terror weiter in Richtung Süden aus. Wie mächtig die islamistischen Rebellen sind, haben sie erst Anfang Oktober in Mali demonstriert, als sie Kasernen in Boulkessy und Mondoro besetzten und über 40 Soldaten töteten.

Auch rund um den Tschadsee – vor allem in Nigeria – werden aktuell mehr als 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge gezählt, die ihre Heimatdörfer wegen der Gewalt durch Boko Haram, dem westafrikanischen Arm des islamischen Staates – ISWAP – sowie der Unberechenbarkeit der Regierungstruppen verlassen haben. In der ganzen Region sind seit Jahresbeginn Tausende Menschen ums Leben gekommen. "Ganz klar: Westafrika hat dieses Ausmaß an Sicherheitsrisiken noch nicht erlebt", sagt Oshita Oshita, Direktor des Ubuntu Centre für Afrika, Friedenssicherung und Entwicklung in Nigerias Hauptstadt Abuja.

Bréma Ely Dicko, der die Abteilung Sozialanthropologie an der Université des Lettres et des Sciences Humaines in der malischen Hauptstadt Bamako leitet, sieht in den betroffenen Ländern zahlreiche Gemeinsamkeiten: "Die Staaten garantieren keine Basisversorgung mehr." Die Justiz sorge nicht mehr für Gerechtigkeit, die Jugend sei sich selbst überlassen, der Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem existiere kaum. "Deshalb konzentriert sich die Bevölkerung auf die neuen Akteure, die bewaffneten Gruppierungen", sagt Bréma Ely Dicko. Währenddessen "verlieren die Staaten weiter an Glaubwürdigkeit." Militäreinsätze alleine reichen daher nicht aus, um Terroristen zu bekämpfen. Stattdessen müsse der Staat wieder präsent sein.

Grenzgebiete besonders betroffen

Besonders betroffen sind die Grenzgebiete. "Die Grenze zwischen Mali und Burkina Faso ist ebenso eine rote Zone wie die zwischen Mali und dem Niger", führt Dicko aus. Meist liegen diese hunderte Kilometer von den Hauptstädten entfernt, und die Regionen sind dünn besiedelt. Am Tschadsee wie auch in Mali, wo vor allem die Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime (JNIM) Anschläge verübt, zeigt sich, wie schnell sich Gewalt in der ganzen Region ausbreiten kann.

Nicht nur die ungesicherten Grenzen machen zu schaffen, sondern auch das Abkommen zur Reisefreiheit innerhalb der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Jahr 1979. Einst galt es als Meilenstein, heute könnte es jedoch die Ausbreitung des Terrors weiter fördern.

Putsch-Gerüchte in Mali

Abdon Coudoro, Leiter des Grenzschutzes bei der beninischen Einwanderungsbehörde, gibt zu: "Wir können nicht mehr sagen, ob die Reisefreiheit gut für Afrika ist oder nicht. Man muss mehr über die Intentionen der Reisenden wissen."

Das gelte auch für Länder, die bisher noch nicht unmittelbar und dauerhaft vom Terror betroffen sind. Sie werden von Rebellen und Terroristen als Rückzugsorte genutzt. "Wir haben eine Grenze zu Burkina Faso. Auch im Norden gab es bereits eine Entführung", sagt Coudoro. Sicherheitskräfte müssten deshalb noch stärker grenzübergreifend zusammenarbeiten und sich austauschen. In Mali jedoch kommt aktuell noch ein weiteres Risiko hinzu. So sind in den vergangenen Wochen immer wieder Gerüchte über einen Putsch laut geworden, was Erinnerungen an das Jahr 2012 weckt.

Damals löste der Sturz von Präsident Amadou Toumani Touré zahlreiche Kettenreaktionen aus, unter anderem die Ausbreitung des islamistischen Terrors im Norden. "Jetzt hat der Präsident (Ibrahim Boubacar Keïta, Anm.) gesagt, dass ein Staatsstreich keine Lösung sei", sagt Professor Dicko: "Das zeigt seine Verbitterung und seine Angst." Einen Schutz vor einem erneuten Putsch gebe es aber nicht mehr. (Katrin Gänsler aus Abuja, 8.11.2019)