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Mögliche Regierungspartner Kurz und Kogler: Die Kleinen fehlt in Koalitionen oft das scharfe Profil

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

In die Quartiere von SPÖ und FPÖ führen Blutspuren, neben den Türen prangen schwarze Kreuze. Der Sensenmann trägt die branchenübliche Kutte, aber ein jugendliches Antlitz. Es ist Sebastian Kurz, der seine einstigen Koalitionspartner dahingerafft hat – und nun bei den Grünen anklopft.

So hat die fast schon berüchtigte Sozialistische Jugend Gänserndorf den Kanzler in spe karikiert, zum Ärger türkiser Funktionäre. Doch steckt in der deftigen Darstellung nicht ein Körnchen Wahrheit? Wer immer eine Koalition mit Kurz wagt, wird sich die Frage stellen müssen: Wie lässt sich neben einem so dominanten Regierungschef politisch überleben?

Sorgen sind begründet. Eine Untersuchung an der Duke University in der US-Stadt Durham kommt zum gleichen Schluss wie eine Studie der Unis von Berlin und Pittsburgh: Juniorpartner in Koalitionen sind – überspitzt gesagt – geborene Verlierer. Laut der deutsch-amerikanischen Arbeit, die Resultate von 307 Parteien bei 219 europäischen Wahlen – darunter Österreich – zwischen 1972 und 2017 untersucht hat, schneiden die kleinen Regierungsparteien vielfach schlechter ab als die großen Partner – und zwar im Schnitt um sechs Prozentpunkte.

Das liege erstens daran, dass die mit geringerer Verhandlungsmacht ausgestatteten "Kleinen" ihre Anliegen seltener durchsetzten, heißt es in der Studie: Die deutsche FDP etwa habe zwischen 2009 und 2013 lediglich 15 Prozent ihrer 403 Wahlversprechen umgesetzt, während Seniorpartner CDU/CSU von seinen 205 Versprechen mehr als die Hälfte verwirklichte. Nachtragende Wähler ließen die Freidemokraten von 14,6 auf 4,8 Prozent abstürzen.

Die Kanzler stauben ab

Setzen sich die Juniorpartner doch durch, kriegen die Wähler dies – zweitens – nicht immer mit. Was habe die SPD für den Mindestlohn gekämpft, sagt Studien-Co-Autorin Heike Klüver von der Berliner Humboldt-Uni, doch als die Wähler nach dem Urheber gefragt wurden, habe die Antwort vor allem gelautet: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Verantwortlichkeiten seien in Koalitionen diffus, die Medien konzentrierten sich auf die Regierungschefs, analysiert die Politologin: "Juniorpartnern fällt es da schwer, ein eigenes Profil zu entwickeln."

In Österreich ist kein anderer Junior stärker abgestunken wie die FPÖ nach ihrer ersten Koalition mit der ÖVP – für den Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik "ein exemplarischer Fall, wie die Mechanismen wirken können". Nach Jahren vollmundiger Versprechen in der Opposition waren die Freiheitlichen mit teils überfordertem Personal in die Regierung gegangen. Vom Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider angestachelt, regte sich Unmut über die fehlende "blaue Handschrift". Die Revolte von Knittelfeld mündete in ein Wahldebakel mit minus 17 Prozent.

Der jüngste Absturz hat mit dem Ibiza-Skandal eine besondere Ursache, doch in abgeschwächter Form habe sich das Phänomen bei Türkis-Blau gezeigt, glaubt Ennser-Jedenastik: Die FPÖ verlor in Umfragen schon vor dem Bruch der Regierung an Boden. Nur schien der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache dies für das Regieren in Kauf zu nehmen.

In sämtlichen Nationalratswahlen seit 1949 zusammen haben die Juniorpartner laut STANDARD-Berechnung ein Minus von 37,1 Prozentpunkten eingefahren, während die Kanzlerparteien "nur" Verluste von 11,2 Prozentpunkten verbuchten. Einheitlich ist das Bild dennoch nicht (siehe Grafik). In großen Koalitionen wechselten sich SPÖ und ÖVP in der Rolle des Hauptverlierers gerne ab, ohne den Extremfall 2002 liegen die kleinen Regierungsparteien in der Bilanz sogar besser. Die größten Erfolge aus der Juniorenrolle heraus – Jörg Haider 1986 und Sebastian Kurz 2017 – gelangen allerdings nur deshalb, weil es in den jeweiligen Lagern Umstürze mit anschließendem Koalitionsbruch gab. Bisweilen regieren die Parteien eben auf den sich anbahnenden Niedergang.

Wie sich die "Kleinen" dagegen wappnen können? Klüver rät, unter kontrollierten Bedingungen auch den einen oder anderen Streit zu riskieren – so lasse sich in Koalitionen das Profil schärfen. Ansonsten: "Vor Wahlen nicht zu viel versprechen, sondern sich auf Kernforderungen konzentrieren – die müssen im Regierungspakt aber klar festgezurrt sein." Umsetzen sei das Wichtigste, sagt auch Ennser-Jedenastik, der vom Gang in die Koalition nur Parteien abrät, "die bereits in einer prekären Lage sind". Für alle anderen sollte das Regieren das Risiko wert sein, denn Wählerstimmensammeln sei ja kein Selbstzweck.

Siegen trotz Juniorenrolle

Peter Filzmaier macht potenziellen Kurz-Partnern mit einem anderen Argument Mut. Der Absturz der Kleinen sei kein Naturgesetz, sagt der Politologe, sondern – wie etwa beim Paradebeispiel SPD – oft auch nur eine Ausrede für hausgemachte Probleme. Auch unter Kurz sei der Kanzlerbonus schwächer als das Standing der Landeshauptleute in der Wählerschaft, und gerade bei einer Landeswahl haben die Grünen Unerhörtes geschafft: In Vorarlberg regierten sie fünf Jahre als Junior neben der ÖVP – und gewannen bei der folgenden Wahl dennoch genauso viel wie der Senior. (Gerald John, 8.11.2019)