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Stell dir vor, es ist Zombie-Apokalypse und keiner überlebt. Dieses Szenario muss man immer mehr befürchten, je weiter "Hollow Kingdom", der Debütroman der US-Amerikanerin Kira Jane Buxton, voranschreitet. Wer soll denn jetzt den Untergang der Zivilisation bezeugen? Wer das Erbe der Menschheit bewahren? – Aber zum Glück gibt es da ja noch die Tiere und allen voran den Ich-Erzähler des Romans, das zahme Krähenmännchen S.T. (kurz für "Shit Turd"). Der schildert uns den altvertrauten Plot aus einer ganz neuen Perspektive. Im Frühling wird der Roman übrigens bei Fischer Tor auf Deutsch erscheinen.

Wie S.T. die Welt sieht

Eines gleich vorneweg: Buxton macht sich gar nicht erst die Mühe, S. T. und den Rest der Romanfauna wie Tiere wirken zu lassen (was Autoren, die es versucht haben, ohnehin kaum jemals konsequent gelungen ist). So kann S.T. lesen, er weiß, was Gehirnzellen, Tinder oder Monstertruck-Shows sind, dass Marihuana legalisiert wurde und was der durchschnittliche Mensch so über Krähen denkt. Und wie in einer klassischen Fabel können sich sämtliche Tiere untereinander verständigen: Aura ist als speziesübergreifendes Kommunikationsnetzwerk gewissermaßen das natürliche Internet, in dem selbst Bäume ihre Botschaften posten.

Buxton setzt in erster Linie auf Humor, und der Witz entspringt ganz dem Wesen ihres Erzählers. S. T. garniert seinen Bericht gerne mit Schimpfwörtern – zum einen, weil Krähen generell Trash-Talk lieben, zum anderen, weil er von einem psychisch tendenziell auffälligen menschlichen Herrchen respektive "Symbiosepartner" sozialisiert wurde. Und er blickt grundsätzlich mit Sarkasmus auf die Welt. Die Erzählung kommt damit im Tonfall eines wortgewandten urbanen Lifestyle-Bloggers daher (kein Zufall: Buxton ist eigentlich im Journalismus zuhause) und ist entsprechend unterhaltsam.

Kurz zum Plot

S. T. hat glücklich mit seinem Menschen zusammengelebt, bis Big Jim eines Tages plötzlich ein Augapfel aus der Höhle plumpst. Alle Versuche, Big Jim durch eilig eingeflogene Medikamente zu heilen, scheitern, bis sich S.T. schließlich der unangenehmen Erkenntnis stellen muss, dass in der Welt etwas ganz gewaltig schiefgegangen ist. In dieser Phase klappern wir einige gängige Motive des Zombie-Genres ab: vom blutverschmierten Schulbus-Wrack über die leere Kirche bis zur Medikamentensuche im geplünderten Drugstore.

Allerdings mischen sich auch immer mehr Situationen mit Tierbezug in die Handlung – und damit ist nicht die nette alte Dame mit dem blauen Haar gemeint, die ihren Hund frisst. Nein, da hätten wir beispielsweise auch einen Kampf mit einer wütenden Grizzly-Mutter oder ein Zoo-Flusspferd, das es sich im Sumpf eines überfluteten Stadions gemütlich gemacht hat. Immer mehr Tiere dringen aus den von Menschen verlassenen Häusern ebenso wie aus der Wildnis vor und summieren sich in den Straßen von Seattle allmählich zu einer konfliktträchtigen Mischung.

Phase 2: I Am Legend

S.T. ist übrigens nicht allein unterwegs, Big Jims etwas trotteliger Hund Dennis begleitet ihn so treu, wie es seiner Spezies gegeben ist. Wenn sich die beiden dann einen Kampf mit Mama Grizzly liefern, erinnert das nicht zu knapp an das Team Kaninchen/Möwe aus "Watership Down". Und das ist kein Zufall: Wie in Richard Adams' legendärer Tier-Saga fließen auch in "Hollow Kingdom" mythische Elemente ein. S.T. begibt sich auf die Suche nach geheimnisvollen Figuren wie The One Who Opens Doors, von denen er in der Aura hört. Und er stellt verblüfft fest, dass er selbst bei den anderen Tieren bereits zu einer mythischen Gestalt geworden ist – The One Who Keeps.

Was er bewahrt? Nun, S.T. ist der Menschheit größter Fan und will das Verschwinden von deren Kultur(en) nicht einfach so hinnehmen. Genau genommen fühlt er sich – sehr zum Spott seiner wildlebenden Artgenossen – selbst als Mensch. Letztlich schildert der Roman also den Weg S.T.s zu sich selbst, zur Akzeptanz der neuen Umstände und seiner Natur.

Nichts ausgelassen

Unterm Strich kommt da ein bissel gar viel zusammen. Zombiekalypse und Satire, "Watership Down"-Saga und Identitätsfindung, des Weiteren Züge eines – eher naiven – Ökomärchens, und zu guter Letzt entwickeln sich die Zombies auf nicht sehr überzeugende Weise in etwas noch Monströseres weiter und erhöhen die Knalligkeit damit noch einmal beträchtlich.

Und es hätte sogar noch bunter kommen können. In einem globalen Rundblick streut Buxton nämlich via Kurzkapitel ein, wie sich der Untergang in anderen Weltregionen gestaltet. Als Perspektivfiguren fungieren hier unter anderem ein Kamel in Dubai oder ein Eisbär in Grönland. Diese Kurzkapitel nutzt Buxton zugleich für stilistische Fingerübungen – ein nüchterner Rapport steht da neben Passagen in mythisierendem Ton oder sogar Gedichten. Allesamt bieten sie sich als alternative Erzählweisen der posthumanen Saga an, die "Hollow Kingdom" ist. (Das Highlight darunter sind übrigens die Betrachtungen des aberwitzig selbstgefälligen Katers Genghis Cat – der hätte den Roman auch getragen.)

Kurz: Wann immer Buxton vor der Frage stand, ob sie zwecks Effekt etwas bringen soll oder nicht, ist sie stets auf ein Ja gekommen. Was auch für die Gags gilt: Natürlich ist es lustig, wenn S.T. in einer Kirche einen Fake-MoFo (MoFos war Big Jims wenig schmeichelhafte Bezeichnung für seine Mitmenschen) mit Lendenschurz und "unbequem aussehendem Stirnband" sichtet und sich wundert, für welche Verbrechen der Arme wohl bestraft wurde. Allerdings hat unser Erzähler keinerlei Probleme damit, Tippi Hedren (die Hauptdarstellerin von Hitchcocks "Die Vögel") oder Bruce Lee zu kontextualisieren. Da sollte man annehmen, er hätte auch schon mal von Jesus gehört ... Man muss sich beim Pointensetzen schon treu bleiben, und sei die Gefallsucht auch noch so verlockend.