Um das Publikum, und zwar möglichst viel davon, bemühen sich Medien schon eine Weile – ihre Aufmerksamkeit verkaufen Blätter und Sender und Plattformen schon seit Jahrzehnten an die Werbewirtschaft, ihr Geld wollen sie für Zeitungsabos wie Rundfunkgebühren. Beim Media Innovation Day des Forums Journalismus und Medien am Freitag in Wien ging es um etwas mehr als das – und wie Medien von ihrem Publikum profitieren können. Vom Posting bis zum Spendenmodell, mit dem insbesondere der britische "Guardian" inzwischen sehr erfolgreich unterwegs ist.

Infos und Prioritäten

Wesentliche Informationen von Userinnen und Usern bekommt Romanus Otte, Chefredakteur und Manging Director des "Business Insider" Deutschland. "Wir fragen unsere User: Wenn Sie was zu diesem Artikel beizutragen haben, kontaktieren sie uns", und das mit Erfolg berichtet er.

Die Neurowissenschafterin Maren Urner hat (über Crowdfunding finanziert) das Onlinemedium "Perspective Daily" mitgegründet und berichtet über intensiven Austausch mit den (zahlenden) Userinnen und Usern, welche Projekte der Plattform aus ihrer Sicht Priorität haben. Das vermittle der Community das Gefühl: "Wir machen das gemeinsam."

Kommentare und Foren

Von der Community hat Otte nicht nur gute Meinungen: Die große Mehrheit der Beiträge von Userinnen und Usern insbesondere in Foren seien "dumm und garstig". Bis auf die "Welt" gebe es in Deutschland keine nationale Tageszeitung mit Foren ohne generelle Vorabkontrolle, sagt jedenfalls Otte.

"Die Lauten, die Shouting Class, sind nicht die Mehrheit", hält Medienmacherin Urner fest. Im Umgang brauche es viel "psychologische Stärke". Und es gelte auch hier: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus."

Urners "Perspective Daily" hat die Foren hinter die Bezahlschranke gestellt – nur (zahlende) Mitglieder dürfen die Artikel auf der Seite kommentieren.

Geld

Beim spanischen Onlinemedium "El Diario" gibt es unbeschränktes Posten nur gegen Geld: Ein Posting kann man schreiben, ohne zahlendes Mitglied zu sein, nur die können unbeschränkt kommentieren. Lesen können Userinnen und User kostenfrei. Weitere Benefits für Mitglieder: Sie bekommen Zugang zu Stories – über einen Newsletter – ein paar Stunden vor dem breiten Publikum.

Das Portal gilt als erfolgreiche Mediengründung der 2010-er Jahre – 2012 von Journalisten gestartet, jedes Jahr profitabel, mit 34.000 Mitgliedern, die sieben Euro im Monat oder 60 Euro im Jahr bezahlen. Zehn Prozent dieser Mitglieder zahlen freiwillig mehr.

Aber es sind bisher nicht die Userinnen und User, die den Großteil der Einnahmen ausmachen, erklärte María Ramírez von "El Diario" beim Media Innovation Day: Zwei Drittel der Umsätze kommen, eigentlich sehr traditionell, aus Werbung.

Lukas Sustala war Gründungsmitglied und letzter Chefredakteur der 2015 gestarteten und 2017 mangels wirtschaftlicher Perspektive eingestellten Bezahlportals "NZZ.at". Das Portal ist für 14 Euro pro Monat gestartet – bei weitem zu groß, erklärt Susatala das Ende. "Start small" ist seine Erkenntnis aus dem Experiment. Und der große Schweizer Medienkonzern um die "Neue Zürcher Zeitung" hatte vor allem eines vom österreichischen Laborversuch: "Die 'NZZ' in Zürich musste viele Fehler nicht machen, die wir gemacht haben."

Politik

Nicht nur Medien wollen naturgemäß etwas vom Publikum. Politiker suchen den direkten, nicht von Medien vermittelten Kontakt mit potenziellen Wählerinnen und Wählern.

"Wer braucht noch klassische Medien?" fragten der Social Media-Berater Matthias Lüfkens und ORF-Journalistin Susanne Schnabl beim Media Innovation Day und widmeten sich Social Media-Strategien von Spitzenpolitikern.

Lüfkens berief sich auf eine Analyse von Twitter. Hier seien die Followerzahlen eher irrelevant, wichtiger sei, wer wem folgt. Diese Vernetzung sei vor allem für Politiker interessant. Der Beleg dafür: 97 Prozent der UN-Mitgliedsstaaten sind auf Twitter präsent, 162 Staatschefs. Lüfkens hält hier die Tweets von Donald Trump für sehr gefährlich, weil sie den politischen Diskurs verändert hätten.

Was kann das Publikum beitragen, diskutiert die Medienbranche (Im Bild: Das Publikum bei einem Konzert im Erkel Theater in Budapest im Oktober)
Foto: EPA/Balazs Mohai

Als spannendes Beispiel nennt der Experte den Umgang von Donald Tusk mit Social Media, vor allem mit Instagram. Er bringt ein Beispiel von einer insta-Story von Tusk, der durch New York joggt und in der Subway scheinbar zufällig einen Polen trifft.Hier klinkt sich Schnabel mit ihrer eher kritischen Sicht ein: "Was vor 50 Jahren die Parteizeitung war, ist jetzt Social Media, nur besser." Man müsse hier immer kritisch fragen: "Wieviel Inszenierung steckt dahinter?"

Der aktuelle "Digital News Report" des Reuters Institute zeige, dass junge Politik stark über Social Media genutzt werde, Politik werde stark über Inszenierung wahrgenommenen. Vieles sei gefiltert. "Aber, wo sind die Inhalte?" fragt Schnabl. Social Media sei auch eine Form der Ablenkung. Die Kontextualisierung werde immer wichtiger, das sei die Aufgabe von Journalisten.

Soziale Medien seien jedoch nicht per se zu verteufeln, zum Beispiel wäre #fridaysforfuture ohne Social Media nicht möglich gewesen.Es haben so viele wie nie Zugang zum öffentlichen Diskurs, Beispiele wie Trump seien jedoch diskurszersetzend.

Gesellschaft und Diskurs

Gegen solche Spaltung der Gesellschaft – befeuert von populistischen Politikern – wenden sich Medienprojekte wie "Europa spricht" vieler europäischer Medienhäuser und "Österreich spricht" des STANDARD, über die Chefredakteur Martin Kotynek beim Media Innovation Day berichtete: Diese Initiativen versuchen Menschen mit sehr unterschiedlichen Auffassungen ins Gespräch bringt.

Wie bauen Journalisten eine Instagram-Community auf?

Wie Journalistinnen und Journalisten ihre Instagram-Community aufbauen, darüber sprach Alexandra Stanić von Vice. Sie schreibe Texte, die intim wirken, aber nicht sehr viel Privates über sie erzählten. "Ich schaffe diese Grenze, dass ich gewisse Informationen nicht preisgebe." Auch aufgrund von rechten Usern, die gefährlich werden könnten. Stanić hat ein Foto von Menstruationsblut auf Instagram gepostet, weil sie Tabus brechen wollte, sagt sie. Das brachte ihr über 6.000 neue Follower und Interviewanfragen.

Viele journalistische Geschichten seien über Instargram entstanden. Sie ist auch auf Twitter, hat aber das Gefühl, über Instagram mehr junge Frauen zu erreichen. "Das bringt mir mehr als die Alpha-Chefredakteure auf Twitter". Vice sei auch deswegen auf sie aufmerksam geworden, weil sie ein Pizzatagebuch auf Instagram gemacht hatte. Damit wollte sie eigentlich andeuten, dass Frauen essen sollen, was sie wollen.

Wie kam aus Fans Abonnenten macht am Beispiel der "Tagespresse"

Wie man seine Fans zu zahlenden Abonnentinnen und Abonnenten macht, erzählte Fritz Jergitsch vom Satireportal "Die Tagespresse". Natürlich mit Humor – der aktuelle Slogan, der Online-Abos der "Tagespresse" bewirbt, lautet: "Unterstützen Sie seriöse Huren, Abo abschließen Zack Zack Zack." Humor sei etwas Emotionales, deshalb funktioniert es auf Social Media. Die Herausforderung war, aus der Social Media Reichweite ein funktionierendes Geschäftsmodell zu bauen, so Jergitsch.

Am Anfang sei es möglich gewesen, das Satireportal über Werbung zu finanzieren. Mit 1.000 Usern hatten sie einen Euro verdient. Mit der Algorithmus-Umstellung von Facebook kam es zu einem massiven Userverlust. "Wir hatten damals den Glauben an das Projekt verloren", sagt Jergitsch heute: "Aber die Klicks, die wir verloren hatten, waren die von den Usern, die nur sehr kurz zu uns gekommen sind."

Nach dem Vorbild des Metered Pay Modells der "New York Times" wurde ein neues Abomodell implementiert. Die technische Infrastruktur wurde selbst gebaut mit einem geringen Investment von rund 2.000 Euro. Viele Bekannte hatten Bedenken, dass Leute dafür zahlen würden, und: "Nicht einmal meine Mutter hat daran geglaubt." Es wurde dann trotzdem Mitte 2018 gemacht. Der Umsatz stieg kurz nach der Einführung von 6.000 Euro auf 25.000. "Aus unternehmerischer Sicht waren wir also sehr reich und konnten investieren."

Bereits über 4.000 Abonnenten

Jergitsch rät, das Pricing nicht zu billig zu machen. Die "Tagespresse" hat ein mehrstufiges Modell und verlangt mindestens drei Euro pro Monat oder 36 Euro im Jahr. Die Millennials seien überproportional vertreten. Für einen Boost hat das Ibiza-Video gesorgt: "Wir hatten am Ibiza-Wochenende 400 neue Abos." Aktuell hält die "Tagespresse" bereits bei über 4.000 Abos, die finanzielle Schmerzgrenze liege bei 3.000.

Verloren haben sie bisher vor allem Abonnenten, deren Kreditkarten abliefen, die werden jetzt mit Scherzen daran erinnert. 80 Prozent des Umsatzes kommt bereits über das Abo-Modell, sagt Jergitsch: "Das Abo-Modell zwingt Journalismus, besser zu werden im Wettbewerb mit den anderen, weil man sonst Abonnenten verliert." Und: "Wir haben 50 Prozent mehr Leser dazugewonnen, auch weil wir uns noch mehr Gedanken über den Inhalt unserer Artikel machen". (fid, ras, 8.11.2019)