Haben nicht nur politische Differenzen: Rebekka (Katharina Klar) und Rosmer (Herbert Föttinger).


APA/Herbert Neubauer

Dramen des klassischen Kanons findet man auf Bühnen heute oft nicht mehr im Originaltext an (überholte gesellschaftliche Strukturen, zu komplexe Sprache etc.). Simon Stone hat vor wenigen Jahren eine Welle von Neuüberschreibungen losgetreten. Es entstanden Stücke wie jedermann (stirbt) von Ferdinand Schmalz, Else (ohne Fräulein)von Thomas Arztoder Ewald Palmetshofers Vor Sonnenaufgang, der auch den Originaltitel Gerhart Hauptmanns beibehielt.

Auch das Theater in der Josefstadt wollte sich nicht mehr mit Henrik Ibsens Rosmersholm im alten Zuschnitt begnügen und schickt ein den Motiven des alten Stücks folgendes neues ins Rennen. Im Drama von 1887 verzückt die junge Rebekka West Hausherr Johannes Rosmer mit ihrem freigeistigen Elan so sehr, dass der Witwer ins liberaldemokratische Lager zu wechseln gedenkt. Ulf Stengl, Autor des neuen Josefstädter Rosmersholm, hat nicht nur das Frauenbild deutlich aktualisiert, er reduziert das Drama auf die drei zentralen Figuren und verkehrt die politischen Positionen:

Rebekka – gespielt von der dem Volkstheater für diese Produktion abtrünnig gewordenen Katharina Klar – ist ein unlustiges Gör mit rechtsradikalen Ansichten; sie stiftet ihren Herbergsvater Rosmer (Herbert Föttinger) zu einer entsprechenden Gesinnungsschrift an und lässt diesen offenbar rassistisch grundierten Artikel auf einer rechtsradikalen Internetplattform publizieren.

Rechtsradikale Plattform

Der politische Gegenspieler Kroll, Rosmers Schwager, hält als alter Linker mit Umhängetasche und von Joseph Lorenz mit mitreißender, agitationsgetriebener Verve verkörpert seinem Freund eine politische Standpauke. Mit dem iPad bewaffnet, auf dem der strittige Text zu lesen ist, zieht er im leeren Raum Kreise um den seiner Ansicht nach politisch Verwirrten. Eine von grünblau-irisierendem, durchlässigem Gestänge begrenzte Bühne (Silvia Merlo, Stengl) unterstreicht den Abstraktionsgrad dieses von jeder häuslichen Schlacke befreiten Kammerspiels.

Tatsächlich hört man so akkurat politische Dispute im deutschsprachigen Theater selten. Stengls Rosmersholm ist gewiss ein Produkt der politischen Zuspitzungen der Jahre 2015 ff., seit die Rechte Aufwind hat und im selben Zug die Schwächen der Linken zutage treten. So muss man sich den Haushalt des ungleichen Intellektuellenpaares Helmut Lethen und Caroline Sommerfeld vorstellen; er unverbrüchlich links, sie Philosophin der Identitären und Autorin des Buches Mit Linken leben (2017).

Rechte Paranoia

Kroll zerpflückt in Elmar Goerdens Inszenierung jedes Argument seines der rechten Angstmache auf den Leim gegangenen Freundes, und oft sind sie sich dabei auch einig. Sie wissen etwa ganz genau: "Es gibt keine homogene Gesellschaft", ziehen daraus aber andere Schlüsse.

Das Konversationsdrama aber macht es sich zu einfach und schmiert vor der Ziellinie ab. Unmotiviert gibt Rosmer seine Standpunkte auf. Rebekka wird ihrerseits das Framing eines abgehängten Verliererkindes verpasst, das zwangsläufig rechts denkt. Mit räudiger Sprache und völlig übersteuert gibt sie Rosmer im zweiten Teil Saures. Der politische Zwist wird dann mit privater Münze bezahlt (Hat Rebekka Rosmers Frau in den Tod getrieben?). Dem folgenden Showdown mag man dann keinen Glauben mehr schenken. (Margarete Affenzeller, 9.11.2019)