Die Marabus der Dandora-Halde.
Foto: Bianca Blei

Durch den grauen Regenschleier lassen sich die Menschen kaum von den Marabus unterscheiden. Unter schwarzen Mistsäcken suchen die Sammler auf der Dandora-Müllhalde Schutz vor dem Niederschlag. Hunderte der großen Aasfresser stehen wie Säulen auf den angehäuften Abfallbergen, ihre ausladenden Flügel an ihre Körper gepresst.

Trotz des Regens ist der Geruch auf einer der größten Müllhalden Afrikas eindeutig: feuchter Biomüll, gepaart mit nassem Papierabfall und dem Gestank nach verbranntem Unrat, der durch dutzende Rauchwolken in die Luft befördert wird.

Begrenzt wird das etwa zwölf Hektar große Gebiet durch Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi – Korogocho, Baba Ndogo, Mathare und das namensgebenden Dandora. Die Halde wurde in den 1970er-Jahren auch durch Mittel der Weltbank eröffnet und gilt eigentlich seit dem Jahr 2001 offiziell als voll.

Immer, wenn ein neuer Truck ankommt, scharen sich die Menschen um ihn.
Foto: Bianca Blei

Tausende Tonnen Abfall

Doch noch immer bahnen sich rostige Trucks den Weg durch die Müllberge und laden neuen Abfall ab, was trotz des Regens eine Schar von Menschen anlockt. Sie alle stammen aus den umliegenden informellen Siedlungen und zerteilen den Mist. Anschließend picken sie metallische Gegenstände, Plastikflaschen oder Karton heraus und verkaufen sie zum Kilopreis an Recyclingunternehmen.

Der Preis für ihre Arbeit: bis zu 500 kenianische Shilling pro Tag, etwas weniger als fünf Euro. Und: ihre Gesundheit. Denn auf der überfüllten Dandora-Halde werden täglich mehr als 2000 Tonnen an industriellem, landwirtschaftlichem, privatem und medizinischem Abfall abgelagert. Gefährliche Stoffe wie Blei, Quecksilber, Kadmium und PCBs – giftige und krebsauslösende organische Chlorverbindungen – gelangen so in die Körper der Menschen.

25 alleinerziehende Mütter

Um vor dem Regen Unterschlupf zu finden, drängen sich mehrere Frauen unter einen Blechverschlag am Rande der Müllhalde. Zeitweise ist der Unterstand ein Lokal, wie einfache Speisekarten an der Wand verraten. Bekleidet in einfachen blauen oder grauen Arbeitsmänteln und farbenfrohen Kopfbedeckungen stehen die Abfallsammlerinnen zusammen.

Fünf der 25 Mütter, die sich gegenseitig unterstützen.
Foto: Bianca Blei

Eine von ihnen, Suprose Atieno, erzählt von ihren sechs Kindern, die sie mit dem Einkommen aus der Mülltrennung ernährt und zur Schule schickt. Seit zwölf Jahren durchkämmt die 35-Jährige täglich die Abfallberge. Neben ihr liegt ein dünnes Heftchen auf dem Tisch. Darin eingetragen sind fein säuberlich verschiedene Frauennamen und daneben Beträge in kenianischen Shilling. Insgesamt 25 alleinerziehende Mütter haben sich zu einem "Sparverein" zusammengeschlossen, wie sie berichtet. Ist eine von ihnen knapp bei Kassa und kann sich etwa die Schulgebühren nicht leisten, kann sie sich einen zinsfreien Kredit nehmen. Fürs Foto posieren die Mitglieder mit stolzem Blick und verschränkten Armen.

Auch "Hotels" und "Restaurants" werden auf der Müllhalde betrieben.
Foto: Bianca Blei

Hilfe für Mädchen in den Slums

Neben dem Verschlag liegen bereits fein säuberlich sortierte Plastikflaschen in Paketen verschnürt. Dazwischen streift ein Mädchen umher, das immer wieder Müll aufhebt. Ihr Name ist Linsu, wie Mary Gatitu erfragt, und sie ist sieben Jahre alt.

Gatitu leitet das Rescue Dada Centre in Nairobi, das sich auf die Hilfe für Mädchen und junge Frauen in den Slums spezialisiert hat. Das Zentrum wird auch von der Österreichischen Dreikönigsaktion unterstützt. Insgesamt 70 Mädchen werden von den Mitarbeiterinnen der Einrichtung gleichzeitig betreut. Dabei erhalten sie ein Jahr lang einen Platz zum Schlafen, psychologische Betreuung und eine Schul- oder Jobausbildung.

Die siebenjährige Linsu mit Mary Gatitu auf dem Weg zum Auto.
Foto: Bianca Blei

Warum sie sich ausschließlich um weibliche Slumbewohner kümmern? "Weil Mädchen oft auf jene hineinfallen, die ihnen Liebe und Fürsorge auf der Straße anbieten", sagt Gatitu. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Viertel aller Kinder, die auf den Straßen Nairobis leben und arbeiten, Mädchen sind. Trotz des geringeren Anteils sind es aber oft sie, die Opfer von Menschenhandel werden, zur Prostitution gezwungen werden oder als Frauen der Burschen herhalten müssen. Die Folgen: Missbrauch, frühe Schwangerschaften und eine abgebrochene Ausbildung.

Mit der Oma zur Einrichtung

Gatitu fragt die Siebenjährige auf der Müllhalde nach ihrer Familie. Linsu zeigt auf eine ältere Frau und bezeichnet sie als ihre Oma. Ihre Mama habe sie verlassen. Das bestätigt auch die Großmutter. Sie sammelt gemeinsam mit ihrer Enkeltochter den Müll in Dandora, um zu überleben. Nein, die Kleine gehe nicht zur Schule. Daraufhin bietet ihr Gatitu an, sie in das Zentrum mitzunehmen und ihr die Möglichkeit einer Ausbildung zu geben. Die Großmutter könne mitfahren, sich selbst ein Bild von der Einrichtung machen. Die alte Frau nimmt das Angebot an und folgt ihr zum Auto.

Die Müllsammler suchen während des Regens Schutz unter Plastikplanen.
Foto: Bianca Blei

Nicht immer ist es einfach, die Mädchen in die Sozialeinrichtung zu bringen, erzählen Sozialarbeiterinnen des Zentrums. Oft würden sich die Straßenburschen sträuben, "ihre Frauen" herzugeben. Oft sei es auch nicht leicht, Familienangehörige der Straßenmädchen zu finden. Wenn die Helferinnen keine Verwandten ausfindig machen können, suchen sie nach Pflegefamilien.

Doch die zu finden ist ebenfalls schwierig. Denn Kenia hat kein staatliches System für solche Konstellationen. Ebenso sind Adoptionen im Moment verboten, weil es in der Vergangenheit immer wieder zu Menschenhandel gekommen ist.

Wird ein Kind Vollwaise, läuft auch kein staatlicher Mechanismus an, um das Kind in eine Einrichtung zu bringen. "Man ist dann darauf angewiesen, dass es ein aufmerksamer Nachbar zu einer Polizeistation begleitet", erzählt Gatitu. Passiert das nicht, landen die Kinder automatisch auf der Straße – und dann meistens auf Plätzen wie der Dandora-Müllhalde. (Bianca Blei aus Nairobi, 17.12.2019)