Wie gehen Burschenschaften mit Missbrauchs- und Pädophilievorwürfen um? Das wird durch einen nun publik gewordenen Fall auf die Probe gestellt. Symbolbild: Die Burschenschaft, deren Kappe gezeigt wird, ist nicht gemeint.

Foto: Standard/Fischer

Wenn die Eltern nicht zu Hause sind, dann versuche ihr Bruder, ihr "sein Spatzi dort reinzustecken, wo die Babys herauskommen". In so kindlichen Worten erzählte 2004 die damals siebenjährige K. der Mutter einer Schulfreundin eine unfassbare Geschichte. Mehrfach sei sie von ihrem damals 14-Jährigen Bruder missbraucht worden; mit ungewollten Zungenküssen, die ihr die Luft abschnürten, mit erzwungenem Ausziehen und schmerzhaften Versuchen, in sie einzudringen. Dabei habe der Bruder das gemeinsame Zimmer abgesperrt und sie darauf eingeschworen, nie jemandem davon zu erzählen.

Doch das tut sie: einer gleichaltrigen Schulkollegin, die sie mit zu ihrer Mutter nimmt. Die informiert wiederum die Klassenlehrerin, Ermittlungen wurden eingeleitet. Die Polizei attestierte, dass die Angaben von K. "durchaus glaubwürdig sind". Es könne von einem "enormen Druck" durch die Eltern ausgegangen werden, die eng im Burschenschaftermilieu vernetzt sind. Diese hätten die Geschichte unter den Teppich kehren und den Bruder schützen wollen, erzählt K. heute.

Aus Gehorsam ihren Eltern gegenüber verweigert das Kind damals vor Gericht die Aussage, das Verfahren wird eingestellt. Die Eltern versprechen, sich um eine Therapie zu kümmern, geben jedoch der Tochter die Schuld an den Vorfällen. Jetzt, 15 Jahre später, will K. die Geschehnisse erneut thematisieren. Denn ihr Bruder habe regelmäßig mit Jugendlichen zu tun, und zwar bei seiner Burschenschaft: einer Schülerverbindung in Wien. Dort ist ihr Bruder B. im Vorstand aktiv. Als Fuchsmajor wirbt und betreut er den Nachwuchs. 14-, 15-jährige Burschen also. Die bringen oft ihre Freundinnen mit auf die "Bude" der Burschenschaft, dann wird gemeinsam getrunken und gefeiert, erzählt ein Insider.

Redakteur Fabian Schmid erklärt im Podcast, wie der Missbrauchsfall um den Burschenschaftsvorstand an die Öffentlichkeit kam und wie über Jahre versucht wurde, die betroffene Schwester zum Schweigen zu bringen.

In Versammlung aus Akt zitiert

Die Burschenschaft soll bereits zuvor die Chance erhalten haben, sich genau über die Vorwürfe zu informieren. Denn der Lebensgefährte des Opfers war bei der Burschenschaft aktiv. Seine Freundin vertraute ihm ihre Geschichte an und besorgte den alten Akt, der erst nach Monaten auffindbar war. Mitte Oktober, also vor wenigen Wochen, soll es zu einer Versammlung in der Burschenschaft gekommen sein, bei der er seine "Bundesbrüder" über die Vorwürfe seiner Partnerin gegen den eigenen Bruder informiert haben soll. Er soll dort gefordert haben, dass Jugendliche, die in der Bude verkehren, geschützt werden.

Die Burschenschaft solle zumindest den alten Akt studieren, neue Ermittlungen abwarten und bis dahin keine Jugendlichen in die Nähe des Bruders lassen, soll der Lebensgefährte gebeten haben. Auch weil immer wieder über Blicke des Bruders auf junge Mädchen getuschelt worden sein soll.

Aber nicht einmal das soll dem jungen Mann zugestanden worden sein: Die Aussagen seiner Lebensgefährtin sollen heruntergespielt, diese sogar veräppelt worden sein. Der Mann tritt, empört über die Reaktion, aus der Burschenschaft aus.

Die Burschenschaft stellt das Geschehene ganz anders dar: Es habe einen Streit um Mitgliedsbeiträge gegeben, am Rande dessen seien die Vorwürfe erhoben worden. "Wir lehnen grundsätzlich jede Form von Gewaltdelikten strengstens ab – in unserer über hundertjährigen Geschichte hat es derartiges auch nie gegeben", sagt der Obmann der Burschenschaft. Bezüglich weiterer notwendiger Schritte käme es auf das Verfahren und weitere Informationen an.

Gerüchte über Missbrauch in Reihen von Burschenschaften gibt es seit Jahren, etwa Übergriffe im "Leibverhältnis": Frisch in die Verbindung aufgenommene Burschenschafter erhalten einen älteren Leibburschen zugeteilt, dem sie folgen müssen.

Ein Machtverhältnis, das in vielen Fällen institutionalisierten Missbrauchs typisch ist – etwa bei Trainern und Sportlerinnen. Ebenso begünstigen Treueschwur und Geheimniskrämerei, dass Vorfälle unter den Teppich gekehrt werden – was bewirkt, dass sich Korporierte oft für den Schutz der Burschenschaft statt für den der Opfer entscheiden.

K. hoffte, dass die Ermittlungen gegen ihren Bruder wieder aufgenommen werden. Doch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt erteilte dem vor kurzem nach halbjähriger Prüfung eine Absage, weil es bereits 2004 ein Verfahren gegeben hat.

"Besser als mit Fremden"

Theoretisch beginnt Missbrauch erst mit der Volljährigkeit des Opfers zu verjähren – außer es fanden bereits Ermittlungen statt. Im alten Akt aus dem Jahr 2004 finden sich viele Indizien dafür, dass K. damals die Wahrheit gesagt hat. So heißt es in einem Bericht der Volksschuldirektorin, die Mutter habe "die sexuellen Übergriffe ihres Sohns zugegeben".

In ihrer Zeugenaussage behauptet die Mutter damals, dass ihre Tochter ihren Sohn bedrängt habe. Ein anderes Mal gibt sie dem Aufklärungsunterricht in der Schule die Schuld an den Übergriffen. Und sie sagt auch, dass es ihr lieber sei, wenn die Geschwister "das untereinander ausprobieren als mit einem Fremden".

Die Geschichte ist auch eine Erzählung über das rechtsextreme Milieu, das schon Jugendliche in Schülerverbindungen schickt und sich von der Außenwelt abschirmt. Die Eltern sind selbst eng mit der Burschenschaft verbunden, alle Brüder werden ab dem 14. Lebensjahr zum Eintritt in die Verbindung bewegt.

Der Bruder hat die Vorwürfe stets vehement bestritten. Auf eine Anfrage reagiert er nicht. K. will nun gegen ihre Eltern vorgehen – und dafür kämpfen, dass heute erwachsene Missbrauchsopfer trotz eingestellten Verfahrens die Möglichkeit erhalten, eine Neuauflage der Ermittlungen zu fordern.

Sie meldete sich bei der grünen Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic, die K. nun unterstützt. "Man möchte nicht glauben, was man hört", sagt Ernst-Dziedzic. Die Abgeordnete fordert die Streichung staatlicher Förderungen für den Pennäler Ring, dem auch die Burschenschaft angehört. (Fabian Schmid, 8.11.2019)