Chim Poms Werk "Super Rat" spielt auf Menschen an, die nach Fukushima in verstrahlten Zonen leben müssen.

Foto: Chim Pom/Yoshimitsu Umekawa

"Making the sky of Hiroshima" von Chim Pom befasst sich mit schmerzvollen Seiten der Geschichte Japans.

Foto: Cactus Nakao

Mit "Warum ist es so schwer, die Leere zu akzeptieren" stellt Edgar Honetschläger in der Ausstellung modernen westlichen Einfluss japanischer Tradition gegenüber.

Foto: Edgar Honetschläger

Makoto Aida inszenierte die Rede eines fiktiven japanischen Premierministers, der nationalistische Tendenzen seiner Regierung offenlegt.

Foto: Makoto Aida

Gianmaria Gava fragt mit "Hirohito's new Clothes" nach der Verantwortung des japanischen Kaisers (erste Reihe, Mitte) in den Kriegen gegen China und während des Zweiten Weltkriegs.

Foto: Gianmaria Gava

Dass eine Wiener Ausstellung japanische Twitteranten beschäftigt, kommt nicht oft vor. Im Kurznachrichtendienst ist aber seit Wochen die Rede von einer "antijapanischen Kunstschau" und dass das Bild Japans im Ausland beschmutzt würde. Wie das?

Alles begann ganz harmlos: 150 Jahre werden die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Japan heuer alt, und gefeiert wird hier wie dort seit Januar mit Veranstaltungen. Darunter fallen Kalligrafieworkshops und Kurse in traditioneller Schwertkunst, Vorträge zur Robotik oder Einblicke in die Herstellung japanischen Teekonfekts. All das soll unter dem wachsamen Auge der Japanischen Botschaft in Wien den "Austausch der beiden Länder fördern" und das "gegenseitige Verständnis vertiefen".

Fukushima als Tabu

Dieses Verständnis hat nun aber einen Knacks erlitten. Grund ist die Ausstellung Japan Unlimited im Raum Q21 im Wiener Museumsquartier. Denn sie zeichnet ein kritisches Bild von Nippon. Seit Jahresanfang 2019 als "offizielle Jubiläumsveranstaltung" anerkannt, wurde ihr dieser Status nun entzogen. Japanische Poster dürften ausschlaggebend dafür sein.

Nicht nur mit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe und dessen rechtskonservativer Regierung setzen sich die Arbeiten nämlich auseinander. Auch die Rolle des japanischen Kaisers im Zweiten Weltkrieg sowie der beschwichtigende Umgang von Politik und Medien mit dem Atomunfall von Fukushima 2011 sind Gegenstand mehrerer Arbeiten. Sie rühren an Tabus der japanischen Gesellschaft. "Positiv überrascht" war Kurator Marcello Farabegoli daher, als die Japanische Botschaft die Ausstellung im Januar offiziell anerkannte, obwohl er im Antrag als Ziel formuliert hatte, "die Grenzen politisch-sozialkritischer Kunst in Japan zu thematisieren."

"Erneut geprüft"

Mehr als 13.000 Besucher haben Japan Unlimited seit Ende September gesehen. Nun teilte die japanische Botschaft Farabegoli aber mit, man habe den Antrag "erneut geprüft" und festgestellt, dass die Schau dem "Zweck, das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und die freundschaftliche Beziehung zu fördern, nicht entspricht". Das überraschte Farabegoli insofern, als bei der Eröffnung der japanische Kulturattaché anwesend war und nichts beanstandet hat.

Die neuerliche "Überprüfung" habe einen Monat in Anspruch genommen, teilte die Botschaft dem STANDARD dazu auf Nachfrage mit. Was also ist passiert?

Kunst, die sich kritisch mit Politik und Geschichte des Landes befasst, habe in Japan keine Tradition, sagt Edgar Honetschläger. Der österreichische Künstler hat zwölf Jahre in Japan gelebt, er zeigt in der Schau zwei Arbeiten. Vor Fukushima hätten Künstler sich nie politisch geäußert, aber seit dem Gau sei ein Bewusstseinswandel in Gang, so Honetschläger.

Indirekter Einfluss und Selbstzensur

Politische Kunst erregt nur in Ausnahmefällen die Aufmerksamkeit der japanischen Regierungskreise. Denn zeitgenössische Kunst sei in Japan ein Minderheitenprogramm, so eine in der Ausstellung vertretene japanische Künstlerin, die nicht genannt werden will, weil sie Anfeindungen fürchtet. Hochgekocht dürfte die Sache sein, als ein Gegner der Künstlergruppe Chim Pom auf die Schau aufmerksam wurde, sagt sie. Er empörte sich auf Twitter und kontaktierte Parlamentarier, die das Außenamt darauf stießen.

Direkte Zensur gibt es in Japan keine, indirekt kann u. a. über Förderungen Einfluss genommen werden. Zudem ist die soziale Kontrolle stark, was auch zu Selbstzensur führt. Die Galerie eines in der Schau vertretenen Künstlers habe ihn zum Beispiel gebeten, im Infotext nicht zu kritisch zu sein, sagt Farabegoli. Vor Diffamierung sorgen sich auch Museen.

Offener Austausch fehle

Kunst, die sich kritisch mit der Geschichte befasst, hat in Japan jüngst auf der Aichi Triennale Widerstand erlebt. Das koreanische Duo Kim Seo-kyung und Kim Eun-sung erntete für seine Statue of a Girl of Peace über koreanische Zwangsprostituierte für japanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg Drohungen. Nach drei Tagen musste die Schau mit dem Argument von Sicherheitsbedenken schließen. Förderungen wurden zurückgezogen – man sei im Vorfeld nicht vollständig über das Programm informiert worden. Farabegoli vermutet, die Kritik an Chim Pom dort habe Aufmerksamkeit auf seine Schau gelenkt.

Was sind die Folgen? Japan Unlimited darf das offizielle Logo zum Jubiläumsjahr nicht mehr nutzen und wurde aus dem Eventkalender gelöscht. Es wurde allerdings nicht versucht, die Schau zu stoppen. Aber für Farabegoli fehlt den Feierlichkeiten so der offene Austausch. "Denn Freunde reden nicht nur über die schönen Dinge." (Michael Wurmitzer, 9.11.2019)