Peter Handke ist ein bedeutender Schriftsteller, der sich in einer weltgeschichtlichen und moralischen Frage böse verrannt hat.

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Die tragische Farce um Peter Handke geht weiter. Er sei nie jugoslawischer Staatsbürger gewesen, sagt er jetzt. Den 1999 ausgestellten Pass der "Bundesrepublik Jugoslawien" (die damals nur noch aus Serbien und Montenegro bestand) habe er nur "zum Reisen" benutzt.

Inzwischen kritisieren österreichische Autoren in einem offenen Brief, die "nur noch aus Hass" bestehende "Anti-Handke-Propaganda".

Seltsam. Wo ist der Hass, wenn man in maßvollem Ton (auf den Handke selbst verzichtet) darauf aufmerksam macht, dass es einfach nicht stimmt, was Handke seit Jahrzehnten zum ex-jugoslawischen Sezessionskrieg behauptet?

Daniel Wisser, Unterzeichner des offenen Briefes sagt jetzt allerdings, dieser habe sich nur auf die Debatte um Handkes Staatsbürgerschaft bezogen; dafür ist er allerdings ziemlich allgemein gehalten.

Handke kritisiert Berichterstattung

Der Zerfall Jugoslawiens ab 1991 in blutigen Kriegen hat nicht nur einen "Schuldigen". Aber unter all den "völkischen" Kräften, die da frei wurden, war der serbische Nationalismus der gewalttätigste.

Die anderen in Jugoslawien wollten sich einer weiteren serbischen Hegemonie nicht (mehr) unterwerfen. Das war schon Mitte der 80er-Jahre in Gesprächen vor Ort zu spüren – ebenso wie der Ultranationalismus serbischer "Dissidenten". Als sich Slowenien, Kroatien, Bosnien loslösten, schickte der serbische Machthaber Slobodan Milosevic die Armee bzw. serbische Paramilitärs.

Handke kritisiert die Berichterstattung: "Allzu schnell nämlich waren für die sogenannte Weltöffentlichkeit die Rollen des Angreifers und des Angegriffenen, der reinen Opfer und der nackten Bösewichte, festgelegt und fixgeschrieben" (Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien, 1996). Stimmt, die Serben waren nicht die alleinigen Täter – "Gerechtigkeit für Serbien" bedeutet aber auch, dass man ihre Großverbrechen wie die jahrelange Beschießung von Sarajewo und die Massenerschießung von 8000 bosnischen Männern nicht relativiert.

Handke verstand es sprachlich, den Opfern subtil ihren Opferstatus abzusprechen: "Diese (...) ,posierten' zwar nicht, doch waren sie, durch den Blick- oder Berichtsblickwinkel, deutlich in eine Pose gerückt: wohl wirklich leidende, wurden sie gezeigt in einer Leidenspose."

Verblendung und Vernebelung

Auf die Empörung darüber veröffentlichte er 2006 eine "Stellungnahme", die in Wirklichkeit nur weiter seine Verblendung (und Vernebelung) belegt. Schon die Behauptung, "Europa" habe diesen Krieg "angezettelt", ist absurd und widerlegbar.

Dann forderte er: "Und hören wir auf, die (furchtbare, dumme, unverständliche) Belagerung Sarajewos ausschließlich mit der bosno-serbischen Armee zu verbinden." Mit wem sonst? Wessen Artillerie rings auf den Bergen um die Stadt hat die bosnisch-muslimischen Viertel zusammengeschossen, die serbischen aber verschont? Handke weiter: "Und hören wir schließlich auf, die Massaker (unter denen, im Plural, diejenigen von Srebrenica im Juli 1995 tatsächlich bei weitem die abscheulichsten sind) dem serbischen (Para-)Militär zuzuschreiben." Wer sonst als serbische Paramilitärs unter Ratko Mladic (2017 lebenslang wegen Völkermords) hat das Massaker von Srebrenica begangen?

Handke ist ein bedeutender Schriftsteller, der sich in einer weltgeschichtlichen und moralischen Frage böse verrannt hat. Seither will er von seiner aggressiven Opferhaltung nicht lassen.

hans.rauscher@derStandard.at

(Hans Rauscher, 8.11.2019)