Im Gastkommentar widmet sich Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits dem politischen Diskurs, in dem nicht Inhalt, sondern das "Verhalten zu" dominiert.

Noch hat man den tosenden, hämischen ÖVP-Jubel im Ohr, als die Grünen 2017 vorübergehend aus dem Nationalrat ausschieden. Nach viel zerschlagenem Porzellan bemüht man sich nun um Professionalität, denn nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande wird Politik immer stärker mit herabgesetzter Wahrheitsfähigkeit gleichgesetzt.

Kommt Türkis-Grün oder doch Türkis-Blau?
Foto: APA/Helmut Fohringer

Wie eine Beziehung, die auf Verstand basiert und nicht auf Zuneigung, wirkt die Möglichkeit einer türkis-grünen Regierung; im Unterschied zu Türkis-Blau wie eine "Vernunftehe". Angesichts mangelnder innerer Übereinstimmung wollen im Moment die Worthülsen einfach nicht zu den Bildern passen.

Was, wenn die ÖVP, wie 1999 lehrbuchartig exerziert, die Grünen in immer länger werdenden Runden bis an die anaerobe Schwelle und völlige Erschöpfung heranverhandelt? Nur um diesen, kurz vor dem Jawort, rhetorisch ein Platzen der Verhandlungen zuzuschreiben? Um doch noch eine Last-Minute-Neuauflage von Türkis-Blau zu inszenieren?

Testlabor Österreich

Die Grünen wären aus historischer Sicht gut beraten, sich nebst Klimapolitik auch darauf zu konzentrieren, dass ihnen ein "Klima-Schicksal", wie jenes der SPÖ vor genau 20 Jahren, erspart bleibe. Denn einer Neuauflage von Türkis-Blau steht trotz andersartiger Beteuerungen nichts im Wege, am allerwenigsten der Wählerwille. Der wählende Souverän würde jederzeit wieder jegliche der türkis-blauen Personalentscheidungen mehrheitlich gutheißen, egal wie laut Brüssel aufschreit. Österreich ist kein Land der Feinhörigen.

Doch all das sind nur Vorstellungen eines fernen Donnergrollens, im Moment scheint die Sonne, und alles grünt. In Österreich, das gegenwärtig wie ein Testlabor für globale Politik wirkt, wird gerade der hybride Populismus aus der Taufe gehoben und in Richtung Marktreife geführt. Vonseiten der konservativen Mehrheit hierzulande besteht kaum glaubwürdiges Interesse, mit Grünbewegten tatsächlich Koalitionen zu bilden. Das Denken in Feindbildern bleibt rigide, die Stereotype zu stark verankert, wäre da nicht der die Mittel heiligende Zweck.

Heiligender Zweck

Denn mit grünem Populismus könnte künftig viel bewegt und ein wachsendes Wählerpotenzial erreicht werden. Konservative Taktiker müssten nur zu hybriden Populisten mutieren und kurzerhand rhetorisch sowohl Industriepolitik als auch Klimaschutz vertreten. Politische Biegsamkeit bis zur Charakterlosigkeit wäre gefragt, um nicht dem politischen Gegenspieler das Feld der Klimapolitik kampflos zu überlassen. Zudem das richtige Bild zur rechten Zeit, wen interessieren dann noch diskursive Elemente?

Positionen einer Partei werden bis zur inhaltlichen Schmerzgrenze mit populistischen Versatzstücken anderer Parteien aufgeladen, sprachlich umcodiert und gewaltsam in die je eigene Parteilinie gezwängt. Die Haltung ist tot, es lebe der Hybrid.

Mischpositionen

Der hybride Populismus gründet auf einer polymorphen Struktur. Elemente divergierender politischer Ausgangspositionen werden zu einer Mischposition synthetisiert. Je nach soziopolitischer Opportunität und wirkungspsychologischer Erwartungshaltung finden sich darin inhaltliche Teilaspekte übernommen und vermengt. Er ist eine Verkörperung von vollkommen variablem, situationsbezogenem Eintreten für beliebige Teile der Gesellschaft, passend für alle Diskursräume.

Die Überbelastung des Begriffes Populismus hat die Qualität des gegenwärtigen politischen Diskurses bereits herabgesetzt. Gemäß der sprachlichen Benützungsintensität und individuellen Affektdisposition verschwimmen die Inhalte und werden vage, ähnlich wie die diffusen Begriffe "direkte Demokratie" oder "Volk". Hybrider Populismus tritt auch zutage, wenn Politiker kein Problem darin sehen, offene Widersprüche in einen Satz zu verpacken, überzeugt davon, Wahres zu verkünden. Im hybriden Populismus dominiert kein Inhalt, sondern das relationale Element, das politische "Verhalten zu".

Flexibles Politprogramm

Populistische Hybridität äußert sich ferner im Amalgamieren von Partei, politischem Programm und Bewegung zu einer Leitfigur, als Überidentifikation und Überpersonalisierung. Das gab es in der politischen Geschichte immer wieder. Neu ist, dass das Politprogramm flexibel geworden ist, flüssig, variabel, biegsam, austauschbar. Sogar die Worte, die am Wahlabend "mit großer Demut" gesprochen wurden, sind gleichgültig, wenn nur die Bilder stimmen.

Trotz aller zart keimenden türkis-grünen Euphorie sollten es auch die Grünen mit ihren populistischen Tendenzen nicht übertreiben. Es gibt keinen "guten" Populismus. Selbst das Setzen auf globale Effekte mittels wütend engagierter Klima-Jugendlicher ist politisch kurzfristig gedacht. Denn im Moment scheinen damit mehr Menschen mobilisiert zu werden als mit xenophoben Hassparolen. Das kann sich schon morgen wieder ändern; demgemäß ist auch Türkis-Blau noch längst nicht vom Tisch. (Paul Sailer-Wlasits, 8.11.2019)