Der Finanzskandal am Wiener Burgtheater offenbarte ein wirtschaftliches Kontrollversagen von der Bühne bis hinein ins Kulturministerium. Ab nächster Woche steht nun die ehemalige kaufmännische Geschäftsführerin vor Gericht.

Burgtheater/Soulek

Sie galt als "gute Seele des Hauses" und muss sich nun für ein System der Misswirtschaft verantworten: die mittlerweile pensionierte 64-jährige Silvia Stantejsky.

Heribert Corn

Die Burg" gibt es nicht mehr – und zwar metaphorisch wie buchstäblich. Ausschließlich "Burgtheater" soll die wichtigste Sprechbühne deutscher Zunge nach dem Willen des neuen Direktors Martin Kusej künftig gerufen werden. "Burgtheater" verheißt Offenheit und Transparenz, "Burg" hingegen, als die man sich noch bis vor kurzem selbst beworben hatte, klingt nach dem Gegenteil: nach jener Trutzburg gegen nachvollziehbare, vernunftgeleitete Finanzgebarung, die man bis 2013 war. Bis es krachte.

Sieben Jahre lang haben sich Politik, Staatsanwälte, Rechnungs- und Wirtschaftsprüfer mit dem Finanzskandal an der Burg beschäftigt. Erst jetzt folgt ein gerichtliches Nachspiel zur Tragödie, die die gesamte Kulturbranche erschüttert und wohl, ironischerweise, auch zum Besseren verhändert hat.

Ab Donnerstag kommender Woche muss sich die ehemalige kaufmännische Geschäftsführerin des Burgtheaters, Silvia Stantejsky, vor dem Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten. Vier Prozesstage sind anberaumt. Die Vorwürfe: Bilanzfälschung, Untreue (vorsätzliche Schädigung anderer) und Veruntreuung (vorsätzliche persönliche Bereicherung). Es droht eine Haftstrafe von ein bis zehn Jahren. Für Stantejsky gilt die Unschuldsvermutung, wenngleich bekannt ist, dass sie bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ein Teilgeständnis abgelegt hat.

Aufopferung mit allen Mitteln

Wie es dazu kommen konnte? Dafür muss man weit zurückgehen. Weiter als bis ins Jahr 2008, als Stantejsky die Burgfinanzen leitend übernahm. Man muss zurück bis ins Jahr 1999. Damals wurde das Burgtheater – wie alle großen Kulturbetriebe im Eigentum der Republik Österreich – aus der Staatsverwaltung ausgegliedert und neben Staats- und Volksoper zu einer eigenständigen GmbH innerhalb der Bundestheater-Holding gemacht. Als Burgtheaterdirektor amtierte Nikolaus Bachler, kaufmännischer Geschäftsführer wurde Thomas Drozda, zuvor Mitarbeiter der SPÖ-Kanzler Vranitzky und Klima, danach Generaldirektor der Vereinigten Bühnen Wien, zwischenzeitlich SPÖ-Kulturminister und Bundesgeschäftsführer, nunmehr einfacher Abgeordneter.

Als Stellvertreterin wählte er Silvia Stantejsky. Sie kam 1980 als Leiterin des administrativen Büros an die Burg, war für ihren unermüdlichen Arbeitseinsatz bekannt und galt schon bald als "gute Seele des Hauses". Jeder, vom Schauspielstar bis zum Kulissenschieber, konnte seine Anliegen zu ihr tragen – eine Aufopferung für die "Sache der Kunst", die sich noch bitter rächen sollte. Drozda oblag die Neustrukturierung der Bühne. Bericht über die Finanzen erstattete man an die Holding und den Aufsichtsrat, die beide vom schillernden Kulturmanager Georg Springer geführt wurden. Dieser wiederum hatte die Aufgabe, die Bühneninteressen gegenüber den Kulturministern zu vertreten.

Die Blindheit der Wirtschaftsprüfer

Klar war damals wie heute: Ohne beständigen Zufluss von Steuergeld läuft – wie auch bei anderen großen Kulturtankern – nichts. Zur Einordnung: Die Basisabgeltung, wie die jährliche Subvention für staatliche Kulturbetriebe heißt, betrug beim Burgtheater zuletzt knapp 49 Millionen Euro. Oberste Ziele der Ausgliederung von 1999 waren Entbürokratisierung und mehr Wirtschaftlichkeit. Letzteres ist, wie man heute weiß, kolossal gescheitert.

Wann der Kulturtanker an der Wiener Ringstraße Schlagseite bekam, scheint nicht restlos geklärt zu sein. Ein Rechnungshofbericht, der auch die Zeit vor 2008 untersucht, steht noch aus, ihn gab erst die letzte Regierung in Auftrag. Thomas Drozda jedenfalls verwies stets auf Berichte der Wirtschaftsprüfer PwC und KPMG, die belegen würden, er hätte die Burg 2008 lastenfrei an Nachfolgerin Stantejsky und den neuen künstlerischen Direktor Matthias Hartmann übergeben. Klar ist aber auch, dass ebenjene Prüfer sich in der Zeit nach 2008 gehörig "verrechneten": Während PwC vor 2013 keine Ungereimtheiten erkennen konnte, brachte erst ein Wechsel zu KMPG den Stein ins Rollen: Im Geschäftsjahr 2012/13 wies die Burg einen Bilanzverlust von 19,64 Millionen Euro und ein negatives Eigenkapital von 10,29 Millionen Euro aus. Jedes Privattheater wäre pleite.

Eingestellte Ermittlungen

Während dank staatlicher Garantien und Notverkäufen von Immobilien das Loch gestopft werden konnte, begann die enervierende Suche nach Schuldigen: 2013 wurde Silvia Stantejsky zunächst suspendiert, dann fristlos entlassen, 2014 entließ der damalige Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) auch Burgdirektor Matthias Hartmann, wogegen dieser klagte. 2018 verglich sich Hartmann mit der Burg. Die Versicherung zahlte beiden Seiten Entschädigung, aus der Entlassung wurde eine einvernehmliche Trennung. Georg Springer hielt zunächst an seinem Posten fest, erst unter Druck tauchte er in die Pension ab.

Der Rechnungshof legte 2016 einen forensischen Bericht vor, der Misswirtschaft sowie Kontrollversagen auf allen Ebenen zeigte. Ein parlamentarischer U-Ausschuss kam zu selbigem Ergebnis. Parallel dazu ermittelte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Stantejsky, Hartmann und Springer. Steuerschulden, die teils schon unter Drozdas Zeit angefallen waren, beglich die Burg mit 137.000 Euro, rechtzeitige Selbstanzeigen verhinderten in diesem Punkt die Strafverfolgung. 2018 schließlich stellte die WKStA alle Ermittlungen gegen Hartmann und Springer ein. Übrig blieb: Stantejsky.

Die Burg als Hausbank mit dem Cash

Ihr Fehlverhalten scheint ausreichend dokumentiert. Teils geständig, wird ihr nun vorgeworfen, Bilanzen geschönt zu haben, um dem Druck, mit einer "schwarzen Null" zu bilanzieren, standzuhalten. Zudem soll sie Geld entwendet haben. Dass das "Schattensystem", das sie hinter den dicken Burgmauern etabliert habe, jedem Kontrollorgan entgangen sein soll, wirkt bis heute abenteuerlich: Denn der Zahlungsverkehr zwischen Künstlern, der Führungsebene und sonstigem Personal wurde, für viele sichtbar, zu einem großen Teil über Bargeld abgewickelt. Dem Betriebsrat soll beim Cashverteilen eine besonders gewichtige Rolle zugekommen sein. Die Burg als Hausbank für den schnellen Schein? Offenbar hielt das lange niemand für verkehrt.

Heute wird im Burgtheater nicht nur aufs Konto überwiesen, sondern jeder Beleg zweimal umgedreht. Neue Leute sind am Werk, der Rechnungshof zeigt sich zufrieden. Hinter vorgehaltener Hand sagen Leiter von Theatern und Museen, der Fall sei letztlich reinigend für die gesamte Branche gewesen: weg von falsch verstandener Narrenfreiheit im Namen der Kunst, hin zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit dem Geld des eigenen Publikums. Und auch die Kulturpolitik hat gelernt, wenn sie die Budgetierung der Theater mittlerweile weit vorausschauender anlegt.

Für Silvia Stantejsky kommt das zu spät. Ihre beste Verteidigung im System der alten Burg wäre es wohl, ebendieses aufzuzeigen. (Stefan Weiss, 8.11.2019)