Die Holocaust-Überlebende Segre ist 89 Jahre alt.

Foto: Mondadori Portfolio/Archivio Marco Piraccini

Liliana Segre hat den Horror, das Unfassbare erlebt: Sie war im Jänner 1944 als 13-jähriges Mädchen zusammen mit ihrem Vater und ihren Großeltern in einem Viehwagen von Mailand nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Ihre Verwandten wurden im Vernichtungslager ermordet; Liliana Segre hat überlebt und wurde im April 1945 von den Alliierten befreit.

Ihre Deportation war die Folge der Rassengesetze des Diktators Benito Mussolini gewesen. Während ihres ganzen Lebens hat sich Liliana Segre dafür eingesetzt, dass die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis und an Mussolinis Rassengesetze nicht verlorengeht. Staatspräsident Sergio Mattarella hat sie für diese Verdienste Anfang 2018 zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt.

Im hohen Alter von 89 Jahren wird Segre nun aber erneut Opfer antisemitischer Gewalt – wenn auch vorerst "nur" im Netz. Durchschnittlich zweihundert Hassnachrichten und Drohungen in den Social-Media-Kanälen erreichen die betagte Holocaust-Überlebende seit Monaten jeden Tag. Nun hat der Mailänder Polizeipräfekt reagiert und Segre unter den Schutz von zwei Carabinieri gestellt.

Den Hass hatte sich Segre unter anderem dadurch zugezogen, dass sie sich im Senat für die Einsetzung einer Sonderkommission starkmachte, die sich mit Rassismus und Antisemitismus beschäftigen soll. Die Schaffung dieser Kommission wurde vergangene Woche gutgeheißen, wobei sich die gesamte Rechte der Stimme enthielt – die Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini ebenso wie die postfaschistischen Fratelli d'Italia und Silvio Berlusconis Forza Italia.

Rechtsparteien enthalten sich

Die Enthaltung der Rechtsparteien im Senat ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich Italiens politisches Klima in den letzten Monaten verändert hat. Hauptverantwortlich dafür ist Salvini, der führende Hassprediger im Land. Er hatte auch die Nachrichten an Segre verharmlost, indem er sagte, er erhalte ebenfalls Drohungen. Später ergänzte er, Antisemitismus sei "natürlich krank".

Liliana Segre hat sich in den letzten Tagen kaum noch öffentlich geäußert. Sie sei erschüttert über den vielen Hass, der ihr entgegenschlage, sagen Vertraute. Viele Freunde gestanden ihr, dass sie sich dafür schämten, in einem Land zu leben, in dem eine 89-jährige Signora unter Polizeischutz gestellt werden müsse. Segre selbst soll dazu bloß erklärt haben, dass "man sich nie dafür schämen sollte, Italiener zu sein". (Dominik Straub, 9.11.2019)