Justitia hat Geldsorgen

Foto: Justiz/Fischer

Als Anfang dieser Woche am Landesgericht Wiener Neustadt ein weiteres Verfahren der Bawag-Affäre begann, war eines klar: Schuld oder Unschuld der Angeklagten im Bawag/Refco-Komplex zu klären könnte schwierig werden. Es geht schließlich um die detailreiche Schilderung von Ereignissen, die sich bereits vor 15 Jahren zugetragen haben. Vier Zeugen sind mittlerweile verstorben, und die, die noch am Leben sind, dürften vieles wohl nicht mehr im Detail erinnern. Sollten die Angeklagten verurteilt werden, dürfen sie mit geringeren Strafen rechnen: eine lange Verfahrensdauer gilt als Strafminderungsgrund. Ein Beispiel, das veranschaulicht, was passiert, wenn Strafverfahren lange dauern. Verzögerungen führen aber auch im Zivilrecht zu Problemen. Straffere Verfahren sollten daher ein Kernanliegen der künftigen Regierung sein. Dafür braucht es vor allem mehr Geld – denn daran mangelt es derzeit gewaltig.

Mahnen mit Zahlen

Darauf hat auch Übergangs-Justizminister Clemens Jabloner mit drastischen Worten hingewiesen. Die Justiz sterbe einen stillen Tod, warnte er im Juli. Jabloner wird diese Aussage in den nächsten Wochen durch ein umfangreiches Dokument noch einmal mit Fakten belegen: Während ganz Österreich im Vorwahl- und Nachwahlfieber war, wurde im Justizministerium an den unterschiedlichsten Stellen recherchiert, wo es derzeit hakt und mangelt. Es werden neben Strukturmängeln vor allem Ressourcenmängel sein, die dabei zum Vorschein kommen. Es fehlt an den nötigen Planstellen für Kanzleikräfte, und die Stellen, die besetzt sind, werden oft wieder frei, weil die Arbeitskräfte ihren Dienst lieber anderswo versehen, wo für gleich viel Arbeit bessere Gehälter bezahlt werden.

Die Lücken, die in den Richterkanzleien entstehen, müssen oft von den Richtern selbst geschlossen werden – gutbezahlte Sekretariatsarbeit, die Zeit frisst, die eigentlich für juristische Arbeit vorgesehen wäre. Hohe Fluktuation plagt auch die Staatsanwaltschaften. So war es im Fall Bawag/Refco der mehrmalige Wechsel des fallzuständigen Staatsanwalts, der bewirkte, dass sich ein jeweils neuer Ankläger erst in den umfangreichen Akt einarbeiten musste. Überarbeitung, ein schlechtes Arbeitsklima und Dominoeffekte durch öfter frei werdende Stellen an anderen Behörden begünstigen oftmalige Personalwechsel. Und sie stellen die Ankläger im Wettstreit mit den großen Anwaltskanzleien auf ein denkbar schwaches Fundament. Zumal die Verfahrensgegenstände heute komplexer sind als früher. Die Anforderungen an die Justiz steigen also, die Mittel, die für deren Bewältigung zur Verfügung stehen, wurden jedoch gekürzt – und von der lückenlosen Digitalisierung im Aktenverkehr ist man noch weit entfernt.

Ein weiteres langjähriges Problemfeld ist der Maßnahmenvollzug, also die Unterbringung psychisch kranker oder nicht zurechnungsfähiger Rechtsbrecher. Die Zahl der Insassen nimmt stetig zu, die Kapazitäten reichen nicht aus, hinzu kommen Mängel in der Betreuungsqualität. Seit langer Zeit arbeitet das Ministerium an einem Reformpaket, der frühere ÖVP-Minister Wolfgang Brandstetter hatte einen Entwurf vorgelegt, doch mangelte es bei der Umsetzung ebenfalls am Budget und an der Abstimmung mit den Ländern und dem Gesundheitsressort. Jabloner hatte angekündigt, zumindest im Rahmen des bestehenden Budgets akute Mängel zu beheben. Eine umfassende Reform wird eine zentrale Aufgabe des nächsten Justizministers sein. (sterk, 10.11.2019)