Neue Vorwürfe gegen Regisseur Roman Polanski.

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Auch wenn die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen den Regisseur Roman Polanski nicht neu sind, hat die neueste Anklage in Paris einen Schock ausgelöst. Seit Tagen schon diskutiert Frankreich über einen anderen Fall – um die Schauspielerin Adèle Haenel –, der den Schluss nahelegt, dass die französische Filmbranche den gleichen Prozess durchmacht wie Hollywood nach der Weinstein-Affäre vor zwei Jahren.

Mitten in diese angespannte Atmosphäre platzt in Paris die neue Anklage gegen Polanski. Die Vorwürfe sind verjährt, aber sehr genau und schwerwiegend. Die frühere Schauspielerin Valentine Monnier erzählte der Zeitung "Le Parisien" vom Samstag detailliert, wie sie von Polanski 1975 im Alter von 18 vergewaltigt worden sei. Ohne den Regisseur zu kennen, sei sie damals der Einladung einer Bekannten in dessen Chalet in Gstaad (Schweiz) gefolgt. Schon am Skilift habe er ihr ein sexuelles Angebot gemacht. Zurück im Haus, habe er sie zu sich in sein Stockwerk gerufen und nackt empfangen. "Es war von extremer Gewalt. Er schlug mich, bis ich aufgab, dann vergewaltigte er mich und tat mir alles Schlimme an."

Polanskis Anwalt dementiert

Polanskis französischer Anwalt Hervé Témime erklärte, er bestreite "mit Nachdruck jeden Vergewaltigungsvorwurf". Dieser sei verjährt und der Justiz auch vorher nie zur Kenntnis gebracht worden.

"Le Parisien" erwähnt dagegen mehrere Zeugen, die eidesstattliche Erklärungen abgegeben haben. Ein damaliger Feriengast in Gstaad berichtete, Monnier sei am fraglichen Abend bei ihm untergekommen und habe erzählt, sie sei von Polanski brutal vergewaltigt worden. Der anonym bleibende Chalet-Besitzer, der Monnier bei sich aufnahm, glaubt sich an einen blauen Fleck auf ihrer Wange zu erinnern.

Ein britischer Filmproduzent namens John Bentley bestätigte den Vorfall gegenüber der Pariser Zeitung ebenfalls. Zwei Jugendfreunde erklärten ihrerseits, Monnier habe ihnen danach über die Untat berichtet.

Briefe

Die heute 62-jährige Fotografin hatte nach dem Aufbrechen der Weinstein-Affäre die Polizei von Los Angeles kontaktiert. Sie schrieb auch Briefe an diverse Persönlichkeiten in Paris, darunter Frauenministerin Marlène Schiappa und Präsidentengattin Brigitte Macron.

Im September entschloss sie sich, an die Öffentlichkeit zu gehen, als bekannt wurde, dass Polanskis neue Großproduktion "J'accuse" ( "An Officer and a Spy") über die Dreyfus-Affäre von 1905 in Frankreich am Mittwoch ins Kino kommt. Der Film behandelt den Justizirrtum gegenüber einem ungerechtfertigt angeklagten jüdischen Offizier der französischen Armee. In Interviews zog Polanski selber eine Parallele zu den seiner Meinung nach haltlosen Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn. Monnier erklärte dem "Parisien", sie könne nicht anhören, wie jemand, der sie "mit dem Eisen gebrannt" habe, selber erkläre, er klage an (j'accuse).

Ermittlung in den USA

Polanski kann bis heute nicht in die USA einreisen, weil dort eine auf das Jahr 1977 zurückgehende Ermittlung gegen ihn läuft. Die französische Filmwelt hat sich immer voll hinter den Oscar-Preisträger mit polnischem und französischem Pass gestellt. Die Pariser Cinémathèque hielt 2017 trotz Protesten an einer Polanski-Retrospektive fest.

Vor ein paar Tagen hat die #MeToo-Debatte dennoch Paris erreicht, als die Schauspielerin Adèle Haenel berichtete, sie sei als Mädchen von dem in der Pariser Szene nicht minder bekannten Christophe Ruggia sexuell missbraucht worden. Der Täter entschuldigte sich seither.

Die neue Polanski-Affäre trifft die Kinobranche nun mit voller Wucht. Noch vor wenigen Tagen hatte der Hauptdarsteller des Films "J'accuse", Jean Dujardin, erklärt, er sei der "mühsamen" Debatte "überdrüssig". Nun erklären sich zahlreiche andere Schauspielerinnen solidarisch mit Valentine Monnier. Haenel dankte ihr für den "mutigen und präzisen" Bericht. Offen ist nun die Frage, ob die 22 Millionen Euro teure Produktion "J'accuse" überhaupt in die Kinosäle kommt. Sollte das der Fall sein, ist mit Protestaktionen zu rechnen. (Stefan Brändle aus Paris, 9.11.2019)