Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen könnten ohne ein Umdenken schwierig werden.

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Noch haben die Koalitionsverhandlungen gar nicht begonnen, da machen sich in der ÖVP bereits Sorgen breit, was ihnen die Grünen nicht alles wegnehmen könnten – und was keinesfalls möglich wäre. Weil, aus Sicht der Türkisen, nur sie über die Weisheit des Regierens verfügen und das Land letztendlich vor dem Schaden bewahrt werden müsse, den eine grüne Chaostruppe anrichten könnte.

Aus türkiser Logik heißt das: Das Finanzministerium muss selbstverständlich bei der ÖVP bleiben, hier ist die eigentliche Macht geparkt. Die Wirtschaft darf selbstverständlich auch nicht an die Grünen gehen, das können die nicht. Landwirtschaft? Undenkbar! Das kann man den Bauern nicht antun. Und das Verkehrsressort dürfe man erst recht nicht den Grünen überlassen, da weiß man doch schon vorher, was rauskommen würde, wenn man die Rad- und Zugfahrer ranließe. Stau und Chaos nämlich.

Grüne Existenzberechtigung

Nach dem Verständnis vieler in der ÖVP müsse man den Grünen wohl oder übel das Umweltministerium überlassen, dazu gibt es sie ja, das ist ihre Existenzberechtigung. Und dann noch Bildung, vielleicht auch Soziales. Drei Ministerien und ein Staatssekretariat. Damit wäre der grüne Anstrich einer zweiten Amtszeit von Kurz jedenfalls garantiert – zur Zufriedenheit der ÖVP und vieler Wirtschaftstreibender und Industrieller, die hinter ihm und der Partei stehen.

Das wird so nicht funktionieren. Damit könnten sich auch die Grünen nicht zufriedengeben. Der Klimaschutz, wenn man ihn denn als existenziell wichtige Herausforderung ernst nimmt, ist kein Rand- und Nischenthema, sondern das zentrale Thema, das unsere Zukunft prägen und entscheiden wird. Wenn Sebastian Kurz das ernst nimmt, wird er auch die Regierungsagenden neu denken und die Ressortverteilung neu anlegen müssen. Ein Umweltministerium ohne Mittel, Kompetenzen und Durchgriff ist eine Behübschung der Regierung, aber sinnlos.

Harte und schmerzliche Verhandlungen

Der Umwelt- und Klimaschutz wird über die Wirtschaft gelenkt, da spielt auch die Verteilung der budgetären Mittel, über die das Finanzministerium wacht, eine Rolle, da geht es um Verkehr und Infrastruktur, um Energie und natürlich um die Landwirtschaft. Also um all jene Bereiche, die viele in der ÖVP für schwarze Kernkompetenzen halten, von denen man die Grünen eher fernhalten sollte.

Da wird noch ein gewaltiges Umdenken einsetzen müssen, und das werden harte und schmerzliche Verhandlungen – auf beiden Seiten. Natürlich geht es auch um Macht: Die Kompetenzen gehören gebündelt, es braucht ausreichend finanzielle Mittel und einen direkten Durchgriff, sonst wird der Klimaschutz ein Lippenbekenntnis bleiben. Das können die Grünen nicht hinnehmen. Das kann auch Sebastian Kurz nicht zulassen, wenn er sich einen Sinn für die Realität bewahrt hat und es mit dem "Neu Regieren" ernst meint. Er wird eine schlaue, neu gedachte Ressortaufteilung anpeilen müssen, bei der nicht Pfründe verteilt, sondern Kompetenzen neu zusammengeführt werden – vielleicht tatsächlich auf zehn Jahre angelegt, wie Kogler vorgeschlagen hat. Kurz wird dabei vor allem innerhalb seiner eigenen Partei Überzeugungsarbeit leisten müssen: Er muss Lobbyingarbeit für die Grünen erbringen und seinen Unterstützern und Wählern erklären, warum man diese in einer ernst gemeinten gemeinsamen Koalition nicht mit Alibiressorts abspeisen kann. (Michael Völker, 10.11.2019)