Die Wahlanweisungen sollten spanische Votumshelfer womöglich nur notdürftig verstauen. Gut möglich, dass man sie schon bald wieder braucht – zum fünften Mal in dann wohl viereinhalb Jahren.

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Frage: In nur vier Jahren hat es in Spanien jetzt vier Wahlen gegeben. Wieso hält in Madrid plötzlich keine Regierung mehr?

Antwort: Das ist, wenn man so will, eine Folge der Finanzkrise von 2008. Die hat Spanien ja besonders mitgerissen, das Land steuerte in der Folge auf einen harten Austeritätskurs zu. Regiert haben damals – und zwar bis 2011 – die Sozialisten. Erst dann wurden sie nach einer Wahl von den Konservativen (PP) abgelöst, die damals fast 45 Prozent der Stimmen erlangten und das Votum überzeugend gewannen. Sie verschärften den Sparkurs, was Proteste auslöste. Weil die Sozialisten vielen aber nicht als glaubwürdige Alternative erschienen, gewann die neue linke Partei Podemos schnell und massiv an Zulauf. Sie erreichte bei der folgenden Wahl 2015 fast 21 Prozent der Stimmen und brach damit das spanische Parteiensystem auf, in dem sich bisher die beiden Großparteien an der Regierung abgewechselt hatten. Zudem erlangte die ebenfalls neue, liberale Partei Ciudadanos auf Anhieb 13 Prozent, da sie vor allem wegen Frusts über Korruption im PP Zulauf erhielt. Weil Wahlen im Sommer 2016, im Frühjahr 2019 und zuletzt am Sonntag auch keine klaren Mehrheiten brachten, hält das Problem seither an.

Frage: Bieten sich aber die Ciudadanos und Unidas Podemos nicht als klassische Juniorpartner für die Großparteien an?

Antwort: Sollte man meinen. Und in der Tat haben beide Parteien, die 2016 noch Koalitionen abgelehnt hatten, mittlerweile Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem PP (Ciudadanos) beziehungsweise mit den Sozialisten (Unidas Podemos) gefunden. Allerdings: PP und Ciudadanos wären nach den Wahlen 2019 auch gemeinsam mit der neuen, rechtsradikalen Vox nicht stark genug gewesen, um zu regieren. Nötig wäre zum Regieren also die Zustimmung oder Enthaltung der Regionalparteien. Und diese hätte es für sie wohl kaum gegeben, weil sowohl die Ciudadanos als auch vor allem Vox als wichtige Teile ihres Programms eine starke Zentralregierung in Madrid fordern. Sozialisten und Unidas Podemos hätten den Wohlwollen der Regionalisten womöglich gefunden. Ihre Koalitionsverhandlungen scheiterten allerdings im Sommer (vor allem) an Personal- und Machtfragen. Nach der Wahl vom Sonntag haben sie gemeinsam immer noch mehr Sitze als PP, Vox und die Ciudadanos – aber keine Mehrheit.

Frage: Eine große Koalition wäre doch eine Möglichkeit?

Antwort: Die hat in Spanien keine Tradition – so, wie formelle Koalitionen dies überhaupt kaum haben. Immerhin hatte seit dem Ende der Franco-Diktatur Spaniens mehrheitsförderndes Wahlrecht den beiden Großparteien meist Alleinregierungen ermöglicht. Außerdem stehen sich PP und PSOE deutlich unversöhnlicher gegenüber, als das in Deutschland und Österreich mit Union/ÖVP und SPD/SPÖ lange der Fall war, wo sich die Parteien Mitte des 20. Jahrhundert als Volksparteien definiert und versöhnt haben. In Spanien war das so nicht möglich, weil die faschistische Franco-Diktatur ja erst 1976 zu Ende ging. Sie ist, trotz Bemühungen in den vergangenen Jahren, noch immer schlecht aufgearbeitet. Und während sich die PSOE als Vertreterin der Diktaturopfer sieht, sind die Vorgängerparteien des PP einst aus den Nachfolgeparteien der Diktatur entstanden.

Frage: Aber irgendwie muss das Land doch trotzdem zu einer Regierung kommen?

Antwort: Ja, allerdings. Nur wird es bis dahin wohl ein hartes Stück Verhandlungsarbeit. Und auch wenn es am Tag nach der Wahl noch niemand so laut sagen will: Es kann schon sein, dass man sich wieder nicht findet. Die Folge wäre dann, früher oder später, noch ein weiterer Urnengang.

Frage: Und was soll das bringen?

Antwort: Nach aktuellem Stand der Dinge wohl wenig. Denn die politischen Lager in Spanien scheinen in den vergangenen Jahren ziemlich stabil: Zwar gab es bei der Wahl am Sonntag schon größere Verschiebungen, sie fanden aber nicht zwischen links und rechts, sondern innerhalb der Parteigruppen statt. So dürften die Wählerinnen und Wähler der Ciudadanos wohl vor allem zu PP und Vox gewechselt sein, jene der Sozialdemokraten und Unidas Podemos an linke Kleinparteien und Regionallisten. Es ist nicht gesagt, dass das nach einer Neuwahl anders wäre. Einzige Chance wäre, dass eine der großen Parteien deutlich über 30 Prozent erlangt und dann vom mehrheitsfördernden Wahlrecht profitiert. Darauf hatte Premier Pedro Sánchez spekuliert, als er die aktuelle Wahl ansteuerte. Er erlitt damit aber auch Schiffbruch.

Frage: Es ist jetzt also alles wie vorher?

Antwort: Nicht ganz. Zumindest bei den Ciudadanos und Unidas Podemos ist nun Feuer am Dach. Die Liberalen hatten ja rund neun Prozentpunkte und damit 47 von 57 Sitzen verloren. Parteichef Albert Rivera erklärte daher am Montag seinen Rücktritt. Unidas Podemos hatte sich schon vor der Wahl gespalten, der ehemalige Stellvertreter von Parteichef Pablo Iglesias, Íñigo Errejón, hatte die neue Partei Más País gegründet, die bei der Wahl nun 2,4 Prozent und drei Sitze erlangte. Aber auch nach der Spaltung ist Iglesias bei Unidas Podemos nicht mehr unumstritten. Beides sind aber eher Nebenklänge: Sofern sich an der Spitze der beiden Großparteien nichts ändert, ist nicht mit einer deutlichen Verschiebung in der Loyalität der Wählerinnen und Wähler zu rechnen. (Manuel Escher, 11.11.2019)