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So wohnlich war es früher beim Anrufen: unbekannte Telefonzelle mit Hutschmuck, aufgenommen im winterlichen Kärntner Ort Bad Bleiberg.

Foto: Eggenberger/APA/picturedesk.com

Ihre restlose Tilgung aus dem Ortsbild haben vorerst unsere westlichen Nachbarn, die Schweizer, beschlossen. Am 28. November wird die letzte Telefonzelle vom Pflasterstrand der Stadt Baden (Kanton Aargau) verschwinden. Die abgebaute Kabine, ohnehin nur das verspätete Exemplar einer zum Aussterben verurteilten Spezies, wandert ohne Umschweife in das Kommunikationsmuseum in Bern.

Dort werden künftige Menschenkinder sich vor dem in Teilen durchsichtigen Kasten andächtig versammeln: vor einem Gegenstand, nutzlos wie ein bleicher Saurierknochen. Sie werden vielleicht glauben, Sternfahrer hätten in solch einem Sarg ihre ersten, unbeholfenen Flüge ins Weltall hinaus gewagt. Und kopfschüttelnd ein Foto von ihm mit ihrem iPhone schießen.

Vor noch 25 Jahren waren Fernsprechhäuschen nicht wegzudenken aus unseren Durchzugsstraßen oder Prachtalleen. Die Absenz vom eigenen Festanschluss machte die Nutzung öffentlicher Fernsprecher notwendig. Doch selbst das nur gelegentliche Frequentieren solcher befestigter Plätze konfrontierte Großstadtbewohner und andere Hipster mit Spuren einer nur allzu menschlichen Alltagspraxis.

Unvergessen der herb-würzige Duft gestockten Urins. Der stieg einem spätestens beim Abheben des Hörers unverkennbar in die Nüstern. Der hastige Einwurf unzähliger Münzen schuf Muße genug, um geduldig die volkstümlichen Zeichnungen von erigierten Körperteilen sowie die Rufnummern von Erotikdienstleistern zu studieren. Anrufe nach Übersee verteuerten die Angelegenheit erheblich. Besonders Abenteuerlustige riefen in unserem Nachbarland Italien an. Noch in den Jahren rund um die Ermordung Aldo Moros (1978) konnte die Herstellung einer einfachen Verbindung über die Brennergrenze hinweg geschlagene Viertelstunden dauern.

Siegeszug ab 1899

Der Siegeszug der Telefonzelle setzte noch vor der vorletzten Jahrhundertwende ein. Ab 1899 ließen sich in Berlin die ersten Fernsprechautomaten in Restaurants und Theaterfoyers benützen. Schon vorher gab es Separees mit zehn Zentimeter dicken schalldichten Wänden.

Eine flächendeckende Versorgung mit wetterfesten Sprechstellen an Verkehrsknotenpunkten lässt sich mit Beginn der 1910er-Jahre feststellen. Die Erfindung des praktischen Münzfernsprechers geht übrigens auf den Wiener Ingenieur Robert Bruno Jentzsch zurück. Am 17. August 1903 ging das erste derartige Gerät am Wiener Südbahnhof in Betrieb. Schwatzlustige Kakanier hatten damals für ein Telefonat 20 Heller zu berappen. Nicht wenige Technikstürmer warnten eindringlich vor der öffentlichen Lärmbelästigung. Man argwöhnte obendrein, "ganz fremde, arglose Mitbürger" würden aus ihrer wohlverdienten Ruhe "heraustelefoniert".

Und wirklich: Wurde mit der segensreichen Erfindung des Telefons nicht auch Unheil über die Welt gebracht? Der Hesse Philipp Reis, der etwa zeitgleich mit Alexander Graham Bell das Telefon erfand, soll das Herstellen der ersten Verbindung mit folgendem tiefsinnigem Satz überprüft haben: "Das Pferd frisst keinen Gurkensalat!"

Kork, Blech, Eternit

Mit enormem Eifer machte man sich um die schalldichte Innenverkleidung der Sprechzellen verdient. Nacheinander mühte man sich mit Torfstein, Kork, Blech und Eternit ab. Rührend sorgte man sich um die Gefahr der Verbreitung ansteckender Krankheiten. Doch der Siegeszug der Telefonzelle blieb unaufhaltbar.

Mit ihm stachen auch die Folgen missbräuchlicher Verwendung umso schmerzlicher ins Auge. Münzdiebe trieben ihr Unwesen, Obdachlose benutzten die Kabinen als Schlummerstuben. Meisterfeuilletonist Alfred Polgar strich in einer kleinen Hommage die Wohnlichkeit der Sprechstube heraus: die vier Wände, "die Enge. Die Ruhe im Lärm."

In den 1980er-Jahren wurden zahlreiche Telefonzellen auf Wertkarten umgerüstet. Bald darauf markierte die Erfindung des Mobiltelefons den Anfang vom Ende der Zelle. Diese war in der Zwischenzeit immer transparenter geworden, untenrum auch luftiger. Als "Plexiglashaube" erleichterte sie obendrein die Bodenreinigung. Zuletzt punktete man mit Internetanschlüssen.

Noch vor wenigen Jahren gab es in Wien über zweieinhalbtausend Telefonzellen. Die Zahl ist naturgemäß sinkend, die Stückzahlen werden hierzulande durch "Universaldienstverordnungen" geregelt. Vielen ausgemusterten und abgewrackten Telefonstuben winkt indes ein makabres Nachleben. Sie dienen dann als "Bücherzellen" und werden als Endlager für ausrangierte Schmöker von Leseratten bevölkert.

Die radikalen Eidgenossen bieten noch andere Nachnutzungen an. Nachdem sich die Nachfrage nach abgewrackten Telefonhäuschen in engen Grenzen hielt, schoss eine Thurgauer Familie den sprichwörtlichen Vogel ab. Sie erwarb ein solches "Publifon" und führt in ihm jetzt einen quadratmetergroßen Hofladen. (Ronald Pohl, 12.11.2019)