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Evo Morales geht. Nach eigenem Bekunden wollte er damit auch Frieden und Stabilität im Land sicherstellen. Davon kann zunächst aber keine Rede sein, denn jetzt wird im linken Lager protestiert.

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Anhänger des entmachteten Präsidenten am Montag in La Paz.

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Am Abend des Rücktritts hörte man bereits von ersten Gewaltausbrüchen in der Armenstadt El Alto, die an La Paz grenzt und in der Morales nach wie vor viele Anhänger hat.

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Evo Morales unterwegs nach Mexiko.

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In La Paz verließen die Bewohner ihre Häuser, auf den Straßen und Plätzen jubelten sie vor Freude, hupende Autos fuhren im Schritttempo durch die Stadt. Überall wurden die rot-gelb-grünen Fähnchen Boliviens geschwenkt. Und immer wieder die Rufe "Wir haben gewonnen!" oder "Libertad, Libertad!" (Freiheit, Freiheit!).

Die Bolivianer konnten es kaum glauben, dass ihr Präsident Evo Morales am Sonntagnachmittag nun doch zurückgetreten ist. Ein paar Stunden zuvor hatte der indigene Staatschef noch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sein Mandat bis Jänner 2020 ausüben werde und nicht an einen Rücktritt denke.

ORF-Beitrag über die Ungewissheit in Bolivien nach dem Rücktritt von Evo Morales.
ORF

Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Es fing an, als die meisten Bolivianer noch schliefen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) teilte in einem offiziellen Schreiben mit, dass sie die Präsidentschaftswahlen vom 20. Oktober nicht für gültig erklären könne. Sie sei auf massive Unregelmäßigkeiten gestoßen und habe außerdem festgestellt, dass das System zur Schnellauszählung und Übermittlung manipuliert worden sei.

Morales reagierte kaum zwei Stunden später. In einer morgendlichen Pressekonferenz kündigte er überraschend Neuwahlen an und versprach, gemeinsam mit anderen politischen Akteuren die Wahlbehörde neu zu besetzen. Auf die Vorwürfe der OAS ging er nicht ein, zeigte sich aber besorgt über die jüngsten Ausschreitungen. Als Staatsoberhaupt sei es seine Aufgabe, "das Leben zu schützen sowie Frieden, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten".

Dann ging es Schlag auf Schlag: Die Opposition forderte aufgrund des OAS-Berichts den sofortigen Rücktritt des Präsidenten und das Verbot seiner neuerlichen Kandidatur. Wenig später kündigte die Staatsanwaltschaft an, Verfahren gegen die Mitglieder der Wahlbehörde zu eröffnen.

Reihenweise Rücktritte

Politiker der Regierungspartei MAS traten in Reihen zurück: unter anderem Minister, Parlamentarier, Bürgermeister und Gouverneure. Als sich dann das Militär am frühen Nachmittag in einer Pressekonferenz zu Wort meldete und das Staatsoberhaupt ebenfalls zum Rücktritt aufforderte, war klar, dass Morales jeglichen Rückhalt verloren hatte.

Kurz vor fünf Uhr sendete er seine Videobotschaft ans bolivianische Volk: "Ich trete zurück, damit meine Brüder und Schwestern nicht mehr verfolgt werden und im Land wieder Ruhe einkehrt." Morales bezog sich dabei auf die Ausschreitungen, die viele Verletzte und drei Tote gefordert hatten. Seit den Wahlen, die er knapp gewonnen hatte, war es in vielen Städten zu Protesten gekommen. Oppositionelle warfen der Regierung Wahlbetrug vor, blockierten Straßen, griffen staatliche Gebäude und MAS-Politiker an. Am Ende meuterte auch die Polizei.

Demonstranten verbrennen die Wiphala-Flagge, die Boliviens indigene Bevölkerung als Symbol verwendet.

In seiner Rücktrittsrede sprach Morales einmal mehr von einem "Putsch". Tatsache ist, dass auch rassistische Ausbrüche gegen das indigene Staatsoberhaupt zugenommen hatten und Dialogangebote der Regierung von der Opposition verworfen wurden. Am Morgen nach seinem Rücktritt hat Morales nach Angaben der mexikanischen Regierung um Asyl in Mexiko gebeten. Sein Land werde ihm Asyl gewähren, teilte der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard am Montagabend mit.

"Schwestern und Brüder, ich breche nach Mexiko auf", schrieb Morales auf Twitter. "Es tut weh, das Land aus politischen Gründen zu verlassen, aber ich werde in Kontakt bleiben."

"Evo Morales ist in dem Flugzeug der mexikanischen Regierung, das geschickt wurde, um seinen sicheren Transport in unser Land gewährleisten", schrieb Ebrard auf Twitter. Das Leben von Morales sei in Bolivien in Gefahr.

Wütende Morales-Anhänger

Wer regiert nun Bolivien? Mit Morales trat auch sein Vize zurück. Am Sonntag sprach die Opposition von einer Interimsregierung, die nun zusammengestellt werden soll. Wer dem linksgerichteten Morales folgen wird, ist zurzeit unklar. Denn sein konservativer Gegenspieler Carlos Mesa, der bei der Wahl den zweiten Platz erreicht hatte, ist für viele mittlerweile auch keine Option mehr.

Als der Abend kam, hörte man bereits von ersten Gewaltausbrüchen in der Armenstadt El Alto, die an La Paz grenzt und in der Morales nach wie vor viele Anhänger hat. In der Regierungsstadt selbst hieß es, man solle in den Häusern bleiben, aufgebrachte MAS-Anhänger seien unterwegs. Wütend darüber, dass Morales zurücktreten musste, zogen dann in der Tat MAS-Sympathisanten mit Schlagstöcken durch El Alto und La Paz, plünderten Firmengebäude und Läden, drangen in Häuser Oppositioneller ein oder zerstörten sie. Ähnliche Berichte kamen aus anderen Städten Boliviens. Der Tag endete im Chaos – mit verängstigten Menschen, die sich verschanzen, und nicht wissen, wie es weitergeht. (Camilla Landbø aus La Paz, 11.11.2019)