ÖVP-Chef Sebastian Kurz will Regierungsverhandlungen mit den Grünen aufnehmen. Auch wenn das nicht einfach werde, Parallelverhandlungen schließt er aus.

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Während Kogler das schlechte Image des Kompromisses verteidigt, gab sich Kurz ein wenig pessimistisch.

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Der Obdachlose, der in den Arkaden der Lichtenfelsgasse gleich neben der ÖVP-Zentrale sein Quartier aufgeschlagen hat, rollt gerade seinen Schlafsack zusammen und sammelt seine verstreuten Sachen ein. Der Mann ist hier Stammgast, das ist ein trockener Platz, das wird offenbar auch von der Rathauswache gleich gegenüber so geduldet.

In der ÖVP-Zentrale bereitet sich Sebastian Kurz auf seine Erklärung vor der Presse vor. Für die Journalisten, Fotografen und Kameraleute, die an diesem Tag besonders zahlreich erschienen sind, ist ein kleines Buffet angerichtet. Es ist knapp vor zehn Uhr: Es gibt Semmerln mit Fleischlaberl oder Schnitzerl. Und Süßes. Kein grünes Salatblatt trübt das Buffet. "Das wird sich auch ändern", bedauert ein Fotograf und greift zum Fleischlaberl, "mit den Grünen gibt's dann sicher Tofuweckerln."

Wehmut und leichte Skepsis

Kurz kommt pünktlich. Und er holt erst einmal weit aus, bevor er endlich verkündet, dass die ÖVP erwartungsgemäß die Grünen zu Koalitionsverhandlungen einladen werde. Er könne verstehen, dass viele schon heute Gewissheit haben wollen, wie eine künftige Regierung aussehen werde, aber diese Gewissheit könne es noch nicht geben. Die Verhandlungen seien "ergebnisoffen", das wird Kurz noch mehrfach betonen.

Zuvor aber gibt es noch einen Rückblick, der Ex-Kanzler würdigt seinen Wahlerfolg, immerhin plus sechs Prozentpunkte. Das sei doch ein klarer Auftrag zur Regierungsbildung. Noch einmal bedauert Kurz ausdrücklich, dass sich die Freiheitlichen zurückgezogen haben und nicht zu Koalitionsgesprächen zur Verfügung stehen. Die SPÖ streift er nur kurz, mit den Neos gehe sich ohnedies keine Mehrheit aus, also: Grüne.

Einstimmiger Beschluss

Der Beschluss innerhalb der Partei sei einstimmig gefallen, auch wenn er formal gar keine Absicherung durch den Parteivorstand braucht. Er habe erst mit den Landesparteichefs, dann mit den Bündeobleuten gesprochen. Alle stünden hinter ihm und der Entscheidung, es erst einmal mit den Grünen zu probieren.

"Damit da kein Missverständnis entsteht", sagt Kurz, "das ist noch kein Abschluss, kein Endergebnis." Die Verhandlungen würden nicht einfach, und der ÖVP-Chef steckt schon einmal das Terrain ab: Die Grünen haben eine sehr klare Position, was den Klimaschutz betritt, dafür seien sie auch gewählt worden, das sei zu respektieren. Die ÖVP hingegen habe sehr klare Positionen, was die Migration, den Wirtschaftsstandort und die Steuerpolitik betreffe. Gemeint ist: Hier würden sich Kurz und Co von den Grünen sicher nicht dreinreden lassen. Hier will er seine bisherige Position nicht ändern.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat seine Entscheidung bekanntgegeben: Er will Regierungsverhandlungen mit den Grünen aufnehmen – auch wenn es schwierig werden kann
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Über etwaige Schwierigkeiten bei den Koalitionsverhandlungen sagte Grünen-Chef Werner Kogler in der "ZiB 2" am Montagabend, wichtig sei, dass "die Kompromisse so tragfähig sind, dass es etwas deutlich Besseres ist als Türkis-Blau". Auf die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Grünen und der ÖVP angesprochen meinte Kogler, man müsse eben auch die Alternativen zu Türkis-Grün – die wahrscheinlichste sei eine Koalition von FPÖ und ÖVP – einberechnen. Türkis-Blau würde das Gefüge komplett verschieben, angefangen bei der Postenbesetzung in den Ministerien: "Wollen wir noch mehr Burschenschafter drinnen haben?", so Kogler.

Kogler sieht Türkis-Grün als Wagnis, das man aber versuchen sollte.
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Zahlreiche Untergruppen geplant

Während Kogler das schlechte Image des Kompromisses verteidigt, hatte sich Kurz diesbezüglich bei seiner Pressekonferenz am Morgen ein wenig pessimistisch gegeben. "Sollten wir eine Vereinbarung mit den Grünen zustande bringen, wird da auf jeden Fall ein Stück weit Kreativität notwendig sein müssen." Da und dort werde es daher eine neue Form des Regierens sein beziehungsweise sein müssen. Doch gleichzeitig streute Kurz seinem grünen Konterpart Rosen. Die bisherigen Gespräche mit Kogler seien respektvoll und interessant gewesen, der Grünen-Chef verfüge über viel politische Erfahrung.

Am Dienstag wollen sich die beiden Parteichefs treffen, um das weitere Vorgehen festzulegen. Dabei sollen die Themen umrissen werden, die bei den Koalitionsverhandlungen im Mittelpunkt stehen, bald darauf soll auch eine Struktur für die Gespräche vereinbart werden. Schon für die ausführlichen Sondierungsgespräche hatte man sich auf fünf Komplexe – Klima- und Umweltpolitik, Migration, Bildung, Transparenz und drohende Wirtschaftsflaute – geeinigt, es ist anzunehmen, dass diese wieder als Orientierung dienen. Gleichzeitig wollen – zumindest wurde es so von Kogler angekündigt – die Parteien auch ihre Verhandlerteams nominieren. Zahlreiche Untergruppen sollen gebildet werden. Bei den Gesprächen mit der FPÖ 2017 hatte es 25 Untergruppen gegeben, eine ähnliche Zahl schwebt Kurz auch für die aktuellen Verhandlungen vor.

Kein Zeitdruck

Obwohl Kurz mehrfach darauf hinwies, wie herausfordernd die Beratungen mit der Öko-Partei werden, schloss er Parallelverhandlungen mit anderen Parteien aus. Das ist immerhin eine Bedingung der Grünen. Das Trauma von 2002/2003, als nach dem Platzen der schwarz-grünen Verhandlungen bald darauf das schwarz-blaue Abkommen geschlossen wurde, sitzt noch tief.

Wann die neue Regierung fertig paktiert sein soll, darauf wollte sich Kurz nicht festlegen und auch keine Spekulationen zulassen. Er verwies auf die Verhandlungen mit den Freiheitlichen vor zwei Jahren, die innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen waren. Sich daran zu orientieren sei sehr ambitioniert. Man wolle den Prozess "zielgerecht, konsequent und voller Engagement" führen. Trotzdem appellierte er an Bürger (und Journalisten), Geduld aufzubringen. Auch ein Szenario griff Kurz auf: Sollte es keine Einigung geben, könnte es noch länger dauern, bis Österreich wieder eine gewählte Regierung habe.

Warum er keine Dreierkoalition mit Grünen und Neos anstrebt, begründete der ÖVP-Chef damit, dass es schon schwierig genug sei, mit einer Partei Kompromisse zu finden. Ist noch eine weitere Partei involviert, werde es nur komplizierter.

Fast alle Grünen schweigen

Hatten sich am Sonntag die Türkisen mit Wortmeldungen zurückgehalten, so galt dies am Montag für die meisten Grünen. Abgesehen von Parteichef Kogler wagte sich nur der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi, der schon vor wenigen Tagen das Finanzministerium für seine Partei reklamiert hatte, aus der Deckung. Er erklärte, positiv gestimmt zu sein, was die Aussicht auf eine türkis-grüne Zusammenarbeit betrifft, wenngleich die Aufnahme der Gespräche nicht bedeute, dass alles schon "in trockenen Tüchern" sei. "Das Baufeld ist aufbereitet. Aber ein solides Haus steht noch lange nicht", sagte Willi.

Zeitdruck sehe er keinen, Qualität gehe vor Tempo. Dass die Regierung bis Weihnachten angelobt sei, erachtete er als nicht notwendig. Er plädierte dafür, dass über die Feiertage noch allfällige strittige Punkte geklärt werden könnten.

Der grüne Bundessprecher verkündete die einstimmige Bereitschaft der Grünen, mit der ÖVP in konkrete Regierungsverhandlungen zu gehen.
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Kompetenzen für Klimaschutz

Willi stimmte zudem mit Kogler überein, dass das türkis-grüne Regierungsprojekt am besten auf zwei Legislaturperioden angelegt werden sollte. "Fünf Jahre sind nicht so viel Zeit, um große Veränderungen zu stemmen", betonte Willi. Allein wenn er an den Klimaschutz denke: "Da muss eine Generation aufholen, was vier Generationen Verbrennungsmotor angerichtet haben."

Einmal mehr forderte er im Klimabereich "Mut für tiefgreifende Reformen". Ihm schwebte dazu ein eigenes Klimaschutzministerium vor, das mit ausreichend Kompetenzen ausgestattet sein sollte. Nicht vernachlässigen dürften die Grünen Menschenrechtsfragen im Integrationsbereich, das sei für sie essenziell.

In der Lichtenfelsgasse war am Abend – vorübergehend – wieder Ruhe eingekehrt. Der Obdachlose, der wohl wieder sein Quartier bezogen hat, ist wahrscheinlich froh, nicht weiter von Journalisten gestört zu werden. (Marie-Theres Egyed, Michael Völker, red, 11.11.2019)