Bitterer Befund vor einer möglichen türkis-grünen Koalition: "Die SPÖ tut sich schwer, sich in der Opposition wiederzufinden", sagt Barbara Teiber.

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An den Vorgänger erinnert ein grünes Schild: "Wolfgang-Katzian-Park" nennt sich die kleine, mit Plastikrasen ausgelegte Terrasse im dritten Stock der Zentrale der Gewerkschaft der Privatangestellten in Wien-Landstraße. Im Chefbüro dahinter sitzt seit dem Vorjahr Barbara Teiber, die nun auch in der SPÖ eine zukunftsträchtige Rolle spielt. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ernannte sie zu einer der drei Leiterinnen jener "Zukunftslabors", die der SPÖ eine Modernisierung verpassen sollen.

STANDARD: ÖVP und Grüne verhandeln nun über eine Koalition. Ist die SPÖ damit aus dem Spiel

Teiber: Sollten ÖVP und Grüne scheitern, wird sich die SPÖ Verhandlungen nicht verweigern. Aber eine Koalition kommt nur infrage, wenn eine Kurswende möglich ist, und daran glaube ich nicht wirklich, wenn ich Sebastian Kurz zuhöre. Die Opposition ist für die SPÖ sehr wahrscheinlich.

STANDARD: Hoffen Sie, dass unter Türkis-Grün ein Comeback der Sozialpartnerschaft den Arbeitnehmervertretern zumindest etwas Mitsprache ermöglicht?

Teiber: Ich glaube doch, dass es mit den Grünen in der Regierung nicht die absolute Gesprächsverweigerung gibt, mit der Türkis-Blau der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer begegnet ist. Doch die Sozialpartnerschaft nach dem alten Muster, wo wir auch Gesetze mitgestalten konnten, wird nicht auferstehen.

STANDARD: Die SPÖ wirkt angesichts ihres Machtverlusts geradezu paralysiert. Was läuft falsch?

Teiber: Die SPÖ tut sich schwer, sich in der Oppositionsrolle wiederzufinden. Doch die Wahlen sind geschlagen, es ist nun Zeit, nach vorne zu schauen. An der Selbstbeschäftigung möchte ich mich nicht beteiligen.

STANDARD: Das werden Sie als eine der Leiterinnen der Zukunftslabors in der SPÖ aber müssen.

Teiber: Schon, aber es geht nicht um die Partei per se, sondern darum, wie wir uns besser für die Menschen einsetzen können. Die SPÖ muss sich neu aufstellen, Wissenschaftern und Kritikern zuhören, Verbündete suchen, um wieder stärker zu einer Bewegung zu werden. Wir müssen unsere Inhalte schärfen und neue Energie gewinnen für ein zentrales Thema: Österreich gerechter machen.

STANDARD: Wofür soll sich die SPÖ etwa einsetzen?

Teiber: Die Demokratie droht an der Schieflage bei der Vermögensverteilung zu erkranken, da braucht es eine mutige Ansage für eine Millionärssteuer, die überdies auch die beste Ökosteuer ist: Die Ultarreichen haben den größten ökologischen Fußabdruck. Die SPÖ hätte im Wahlkampf da offensiver sein müssen. Oder nehmen Sie das Thema Wohnen, wo mich die Situation als Gewerkschafterin besonders anzipft: Wir können Jahr für Jahr noch so gute Lohnerhöhungen aushandeln – das Plus wird regelmäßig von den steigenden Mieten geschluckt.

STANDARD: Wien wird von der SPÖ regiert, hat das Problem aber auch nicht in den Griff bekommen.

Teiber: In Wien ist die Lage immerhin besser als in anderen Großstädten, da wird auch wieder viel in sozialen Wohnbau investiert. Das Wichtigste, und das kann nur eine neue Bundesregierung durchsetzen, ist ein neues Mietrecht, das Obergrenzen festlegt und das Unwesen der befristeten Mietverträge stoppt. Sebastian Kurz hat als Kanzler die Agenda von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung durchgezogen. Das Thema der SPÖ muss die Gerechtigkeit sein.

STANDARD: Ist die Kritik an Kurz' Politik nicht stark übertrieben? Türkis-Blau hat zum Beispiel auch Geringverdiener entlastet.

Teiber: Unter diesem Deckmantel verbirgt sich eines der letzten Ungerechtigkeitsgesetze von Türkis-Blau. Die Entlastung wurde so konzipiert, dass steinreiche Selbstständige und Großbauern nun niedrigerer Krankenversicherungsbeiträge zahlen als durchschnittliche Arbeitnehmer. Außerdem befürchte ich ein bitteres Erwachen. Beiträge sind rasch gesenkt. Doch wenn ich dem Gesundheitssystem Geld entziehe, kann ich am Ende nur die Leistungen kürzen oder Selbstbehalte einführen. Mir geht es derart auf die Nerven, dass die Türkisen, Neos oder die Agenda Austria ständig trommeln, die Abgabenquote müsse sinken. Niemand beantwortet die Frage, wie der Staat dann Schulen, Spitäler und andere Infrastruktur bezahlen soll.

STANDARD: Auch Experten sagen, der Staat könne bei seinen Strukturen noch viel einsparen.

Teiber: Welche Strukturen? Wie das läuft, haben wir bei der Fusion der Sozialversicherungen gesehen. Ich sitze ja als Vertreterin in der neuen Gesundheitskasse, von Einsparungen merke ich dort aktuell nichts – im Gegenteil: Diese Megafusion verschlingt wegen immenser Beraterkosten Millionen. Vieles spüren die Leute halt noch nicht gleich, das gilt auch für das Arbeitszeitverlängerungsgesetz.

STANDARD: Es scheint aber, dass der Zwölfstundentag gar nicht so schlimme Auswirkungen hatte, wie von der Gewerkschaft behauptet – sonst würden Sie ja selbst mehr "Horrorfälle" präsentieren.

Teiber: Das kann ich nicht bestätigen. Uns berichten permanent Betriebsräte von Fällen, wo auf die Belegschaft Druck ausgeübt wird, mehr zu arbeiten. Nur: Es traut sich kaum wer, mit Namen und Gesicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn ich aufbegehre, bin ich meinen Job los.

STANDARD: Wenn alles so arg ist: Warum sind die vielen Arbeitnehmer unter den FPÖ-Wähler nicht wieder zurück zur SPÖ, sondern zur ÖVP gegangen?

Teiber: Ich fürchte, das liegt immer noch am Ausländerthema – da schafft es die SPÖ nicht, ihren Weg der Mitte zu kommunizieren. Dabei hat Türkis-Blau auch da nur die Agenda der Wirtschaft erfüllt. Einerseits hat die FPÖ "Ausländer raus" geschrien, andererseits sollten die Kriterien bei der Rot-Weiß-Rot-Karte so gesenkt werden, dass über Dumpinglöhne Leute hereingeholt werden. Uns ist es offensichtlich nicht gelungen, das den Arbeitnehmern zu erklären.

STANDARD: Wie wurden Sie selbst zur Sozialdemokratin?

Teiber: Daran war mein Opa mitbeteiligt. Meine Oma und er haben in den Vierziger- und Fünfzigerjahren in der Gegend von Amstetten noch als Knecht und Magd gearbeitet. Die haben für ihre Arbeit nur Kost und Logis bekommen, in einer Art Schweinestall gehaust. Als Holzknecht ist er dann in Kontakt mit der Gewerkschaft gekommen. Ohne die, hat er mir immer erzählt, wäre er – überspitzt gesagt – ewig im Schweinestall geblieben.

STANDARD: Und wie sind Sie selbst sozialisiert?

Teiber: Ich bin im Bezirk Meidling aufgewachsen und übrigens in die gleiche Schule wie Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner gegangen. Weil ich aber aus Hetzendorf stamme, wo sich die Leute gerne schon für Hietzinger halten, war auch mein Freundeskreis von dort – zum Teil auch Kinder von G'stopften sozusagen. Meine Familie konnten da finanziell nicht mithalten, auch wenn mir meine Eltern alles ermöglicht haben. Als 13-Jährige habe ich geglaubt, mit mir stimmt etwas nicht. Doch später bin ich draufgekommen: Es ist die Gesellschaft, mit der etwas nicht stimmt.

STANDARD: Ihr Vorgänger Wolfgang Katzian war Präsident von Austria Wien, auch Sie sind im Klub aktiv. SPÖ oder Austria: Welche Krise wird länger dauern?

Teiber: Mein violettes Herz blutet, doch der SPÖ geht es besser als der Austria. Wenn sich alle Sozialdemokraten zusammenreißen, werden wir bald wieder stark sein. (Gerald John, 12.11.2019)