Im Gastkommentar widerspricht Dietrich Haubenberger, Neurologe und Präsident der Präsident der Austrian Scientists and Scholars in North America, der Sichtweise, dass Wissenschafter nach einem Auslandsaufenthalt nur nach Österreich zurückgekehrt ein "Return of Investment" darstellen.

Sebastian Kurz im Sommer im Silicon Valley.
Foto: Neue Volkspartei/ Jakob Glaser

Delegationen von österreichischen Politikern und Experten pilgern alljährlich an renommierte US-Forschungsstätten wie Harvard, Stanford, und die Columbia University, um neben Instagram-tauglichen Fotos auch Impulse für die eigene Arbeit in die Heimat mitzunehmen. Gerne besucht man dann dort auch Wissenschaftskoryphäen mit österreichischen Wurzeln wie die Nobelpreisträgern Eric Kandel in New York oder Martin Karplus in Boston – beide waren unmittelbar nach dem Anschluss 1938 gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Oft übersehen und unterberichtet, stehen hinter ihnen mehr als tausend österreichische Wissenschafterinnen und Wissenschafter in Nordamerika, auf allen Sprossen der Karriereleiter, vom Doktoratsstudenten bis hin zur Institutsleiterin, welche ebenso am laufenden Band exzellente Forschungsarbeit leisten.

Über den Sommer ist eine innerösterreichische Debatte über den Atlantik geschwappt, die viele in den Wissenschaftskreisen einigermaßen stutzig gemacht hat: seitens des Verkehrsministeriums wurde verlautbart, dass man "glorios gescheitert" sei, österreichische Auslandswissenschafter aus Nordamerika wieder retour in die Heimat zu bringen. Aus diesem Grund wolle man die finanzielle Beteiligung am Office of Science and Technology Austria (OSTA) an der Botschaft in Washington einstellen. Diese Annahme ist schlichtweg inkorrekt.

Selten so reger Forschungsaustausch

Erstens: Selbstverständlich kommen Wissenschafter auch nach Österreich zurück. Das unabhängige Netzwerk ASciNA (Austrian Scientists and Scholars in North America) erfreut sich eines zunehmend wachsenden Alumni-Chapters in Österreich, wo sich quer durch die österreichische Forschungslandschaft ehemalige US-PostDocs in nun leitenden Forschungspositionen in Universitäten oder Forschungsinstitutionen wiederfinden. Einige davon mit Doppel-Affiliation an einer österreichischen sowie US-Universität.

Die alljährlichen, für exzellente an nordamerikanischen Forschungsinstitutionen zustande gekommene Publikationen von österreichischen Nachwuchsforschenden verliehenen ASciNA Awards erlauben einen Einblick in diese Karrieren. Hannes Mikula (Young Scientist Award 2019) etwa reiste aus Wien zur Preisverleihung nach New York City an, da die Karriere des Synthesechemikers nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School ihn wieder nach Wien zu einem renommierten Gruppenleitungposten an der TU-Wien geführt hat. Georg Winter, 2016 für eine bahnbrechende Arbeit zur Beschreibung von zielgerichtetem Abbau krankheitsrelevanter Proteine in Tumorgewebe von Krebspatienten ausgezeichnet, ist mittlerweile vom führenden Dana-Farber-Krebsforschungsinstitut in Boston nach Wien zurückgekehrt, um eine Forschungsgruppe am Zentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu leiten. Im September 2019 wurde ihm ein mit 1,3 Millionen Euro dotierter European Research Council Starting Grant zugesprochen, um seine Erkenntnisse zur Anwendung in der Krebstherapie weiter zu entwickeln. Von Studierenden, die ihre Masterarbeiten an US-Forschungsinstitutionen erstellen, bis zu etablierten Principal Investigators mit österreichischen Post-Docs, der austro-amerikanische Forschungsaustausch war selten so rege, und zwar in beide Richtungen.

"Brain-Circulation", nicht "Brain-Drain"

Zweitens: Man kann sich von einer wissenschafts-diplomatischen Außenstelle wie dem OSTA nicht erwarten, österreichische Wissenschafter retour in die Heimat zu holen. Der Angst vor dem "Brain-Drain" muss man mit dem etablierten Gegenkonzept der "Brain-Circulation" entgegentreten. Eine Gesellschaft profitiert von konstantem intellektuellem Austausch mit den führenden internationalen Forschungszentren weitaus mehr als von einer simplen – fast schon national-paternalistischen – Hoffnung, Spitzenforscher einfach wieder retour ins Heimatland zu bringen. Spitzenforscher sind mobil, und Spitzenforschungsinstitutionen ziehen Spitzenforscher an.

Es ist ein Denkfehler anzunehmen, dass in Österreich ausgebildete Wissenschafter nur dann einen "Return of Investment" darstellen, wenn sie nach einem Auslandsaufenthalt wieder in Österreich forschend tätig sind. Wissenschaft endet nicht an Landesgrenzen. Es gab und gibt keine rein "österreichische" Wissenschaft, ebenso wenig wie eine "amerikanische" oder sonst auf geografische Grenzen reduzierte Wissenschaft. In Österreich ausgebildete Wissenschafter spielen, dank exzellenter universitärer und außer-universitärer Ausbildung, in vielen wissenschaftlichen Disziplinen in der "Champions League" der Forschung. Viele dieser Teams auf Weltklasseniveau werden tatsächlich von US-Forschungsinstitutionen gestellt – Stichwort Harvard, Stanford, MIT. Dazu gesellen sich jedoch auch solche aus Europa, und – ja – auch Forschungsgruppen aus Österreich. Wer daher glaubt, österreichische Wissenschaft sei auf die heimischen Landesgrenzen zu beschränken, da nur "daham" ein Mehrwert bestehe, entblößt einen auf die Regionalliga limitieren Leistungshorizont.

Geografische Scheuklappen ablegen

Gerade vor der anstehenden Regierungsbildung wollen wir Auslandswissenschafter das offizielle Österreich ermutigen, die geografischen Scheuklappen abzulegen und österreichische Wissenschaft zu unterstützen und auszubauen, wo auch immer sie stattfindet: sei es in Salzburg, Stanford, oder Shenzhen. Auch wenn die Budgetierung von Wissenschaftsbüros an den österreichischen Botschaften, wie jenem in Washington, nur einem kleinen Mosaikstein im Außenauftritt der Republik gleichkommt, ist die Alternative sehr wohl ein Schlag ins Gesicht der vielen international tätigen österreichischen Forschenden. Es kann doch nicht sein, dass dem offiziellen Österreich eine Karriere an einer US-Spitzenforschungseinrichtung erst nach Rückkehr an heimische Institutionen etwas wert ist. Österreich ist weitaus mutiger und innovativer. Erfolgsrezepte sind oft simpel: Spitzenforschung zieht Spitzenforscher an. Es hindert ja niemand daran, mittels Investitionen in Innovation und Wissenschaft Österreich zu einem Top-Forschungsland zu machen. If you build it, they will come. (Dietrich Haubenberger, 11.11.2019)