Früher war das mit dem Berg und dem Fluss natürlich doppelt super. Aus wirtschaftlicher, aber vor allem strategischer Sicht.

Eine Stadt dort zu errichten, wo man Wege kontrollieren konnte, verlieh Macht – und machte reich. Am Berg wegen der Pässe, am Fluss wegen der Brücken: Maut an Engstellen einzuheben, an denen man kaum oder gar nicht vorbeikommt, war schon immer ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell.

Tom Rottenberg

Wenn man also etwa ein Flussufer, genauer: eine Brücke kontrollierte und da zufällig auch noch ein Berg herumstand, war das der Jackpot.

Eine Burg am Berg ist schließlich doppelt so schwer einzunehmen wie eine am flachen Land: Wer einen Hügel raufrennt, spürt das – auch ohne Gepäck, Waffen und die Angst vor dem, was die oben einem wohl entgegenschmeißen könnten.

Tom Rottenberg

Wer oben ist, sieht mehr. Immer schon. Nicht nur, wer den Hang hinaufhirscht, sondern auch weit hinaus ins Land.

Den Fluss hinauf und hinunter: Berg und Fluss – das ist eine gute Basis. Über Jahre und Jahrhunderte wuchsen Städte deshalb rund um Burgberge. Und die Ufer entlang. Salzburg etwa. Aber eben nicht nur: Auch Graz ist eine Fluss-Berg-Stadt.

Tom Rottenberg

Nur ist die Burg am Schlossberg halt nicht ganz so auffällig pittoresk wie die Festung Hohensalzburg. Außerdem hat Salzburg Mozart. Die Steiermark Gabalier. Und die Mur ist im Vergleich zur Salzach eher ein Bach.

Aber das ist dann, wenn man den Grazer Schlossberg raufrennt, vollkommen blunzen. Weil der "Hügel" echt was kann – und zwar egal von welcher Seite man ihn angeht. Und einen oben fürstlich belohnt: Der Blick ist unbezahlbar!

Tom Rottenberg

Zugegeben: Das ist er an vielen Orten. Und natürlich auch, wenn man es nicht ganz aus eigener Kraft hinaufgeschafft hat. Aber das ist ja auch beim Bergsteigen und Skitourengehen so: Der Gipfel "schmeckt" anders, wenn man ihn mit Schweiß erkämpft hat. Und wenn Sie mir das nicht glauben, dann habe ich einen Tipp für Sie: Fahren Sie nächstes Wochenende nach Graz und rennen Sie dort die Runde, die ich am Sonntag gelaufen bin. Die Route finden sie hier. Sie können natürlich auch einfach spazieren gehen. Danach reden wir noch einmal.

Tom Rottenberg

Vor allem darüber, dass Graz eben nicht nur diesen einen Berg, den Schlossberg, hat, sondern ausschließlich aus Hügeln besteht. Die können was. Vor allem, wenn sie mit jemandem laufen, der (genauer: die) den ersten Anstieg gleich hinter der Haustür hat und bei der "Einlaufen" grundsätzlich Wettkampftempo bedeutet. Also Wettkampftempo für die Ebene. Nur halt bergauf: So schön etwa Leechwald und Hilmteich auch sein mögen – wenn jemand den ursprünglich als "gemächlich" angesagten Sonntagslauf so anrennt, gibt es genau einen Grund, ihn (also: sie) nicht zu verfluchen: Die dafür notwendige und jetzt fehlende Puste.

Tom Rottenberg

Und die, Puste und Atem, brauchen Sie dann sowieso sofort wieder. Weil es in Graz nicht nur im Wald bergauf geht, sondern überall. Dass da links und rechts oft ziemlich leiwand-mondäne Villen stehen, kann über eines nicht hinwegtäuschen: In Graz rennt man immer nur bergauf – und nie, nie, nie bergab. Wie das geht, muss ich weder verstehen noch erklären – es ist einfach so. Punkt. Und als echter Wiener bestätigt man hier dann jedes Klischee vom Flachlandbewohner, der nicht einmal "ein kleines Hügerl" wegstecken kann.

Tom Rottenberg

Wobei auch Grazerinnen und Grazer angesichts der Topografie ihrer Stadt regelmäßig Dankes-Vaterunser beten, dass die Macher des Graz-Marathons ihren Lauf parallel zum Fluss, also bretteleben, anlegen: 21 oder 42 Kilometer durch und über die Hügel quer durch die Stadt wären im Wettkampfmodus zwar ziemlich lustig – aber doch extrem selektiv und hardcore.

Tom Rottenberg

Wobei: Ein bisserl traurig ist das schon, weil man dann eben nicht nur die Aussicht vom Berg ins Tal versäumt, sondern auch Augenblicke wie diesen auslässt: Wenn man aus dem Wald in Richtung Rosenhain hinaufschaut – und der Blick mehr als einfach nur nett ist –, auch und gerade im Herbst. Wenn die Sonne richtig steht und die Farben der Blätter … und so weiter.

Tom Rottenberg

Aber bevor wir jetzt zu sehr ins Schwelgen kommen, heißt es: Fokus! Konzentration! Denn so schön dieser Bioteppich aus roten und braunen Blättern am Waldboden sein mag, so tückisch ist er auch. Weil es drunter nicht bloß gatschig-rutschig sein kann, sondern mit ziemlicher Sicherheit auch ist. Wegrutschen und/oder Umknöcheln wäre nicht nur unangenehm, sondern richtig blöd: Auch wenn das formal Stadt ist, ist der Weg zur nächsten Bus- oder Bimhaltestelle dann weit – und wer stehen bleibt, spürt rasch: Wirklich stark ist die Sonne jetzt nicht mehr.

Tom Rottenberg

Umso wichtiger ist, die letzten tatsächlich noch wärmenden Strahlen einzufangen. Aufzusaugen. Und mitzunehmen: Dass die Bürger von Schilda das auch wollten und kläglich scheiterten, ist kein Grund, es nicht auch wieder und immer wieder zu versuchen.

Denn das Sonnespeichern und es in die irgendwann sicher doch noch kommenden trüb-grau-nasskalt-depressiven Grauseherbsttage mitnehmen kann sehr wohl funktionieren.

Tom Rottenberg

Man muss es nur richtig machen. Also nicht hektisch zusammenraffend, getrieben von der Angst vor und dem Fokus auf alles, was an Dunklem, Tristem und Negativem kommen könnte. Und vielleicht ja auch wirklich kommen wird. Sondern mit kindlicher Freude an der Schönheit des Augenblicks. An dem, was gerade ist – und was nur bleiben kann, wenn man nicht versucht, es festzuhalten, anzubinden oder gar einzusperren.

Weil Schönes nur bleibt, wenn es frei ist – egal wo, egal wann und egal wie.

Manchmal muss man stehen bleiben, um das zu spüren. Und manchmal laufen. (Thomas Rottenberg, 13.11.2019)

Tom Rottenberg