Foto: APA / AFP / Southern Institute of Ecology / Global Wildlife Conservation / Leibniz Institute for Zoo and Wildlife Research / NCNP

Hanoi – Bei der Auswertung von Fotofallen in Vietnam haben Wissenschafter eine freudige Überraschung erlebt: Die Bilder zeigten, dass eine seit 28 Jahren nicht mehr gesichtete und schon für ausgestorben gehaltene Tierart immer noch lebt: nämlich der Vietnam-Kantschil (Tragulus versicolor), ein Paarhufer im Miniaturformat.

Wenn Kolosse wie Giraffen oder Gaure das obere Ende der Paarhufer-Vielfalt markieren, dann bildet die Gruppe der Hirschferkel, zu denen auch der Vietnam-Kantschil gehört, die Untergrenze. Die zierlich gebauten Hirschferkel sind nur etwa so groß wie Feldhasen oder Katzen. Früher waren sie in der ganzen Alten Welt verbreitet, heute findet man die unscheinbaren Tiere nur noch in den tropischen Regenwäldern Afrikas und Asiens.

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Hirschferkel gelten als "urtümliche" Vertreter ihrer Verwandtschaft, da sie sich seit vielen Millionen Jahren körperlich kaum verändert haben. Sie bilden die Schwestergruppe zu allen anderen Wiederkäuern, von Hirschen bis zu Rindern. Anders als ihre imposanteren Cousins haben sie aber weder Hörner noch Geweihe oder Stirnzapfen – dafür ragen vor allem bei den Männchen die verlängerten Eckzähne wie Mini-Stoßzähne aus dem Maul.

Erstmals 1910 wissenschaftlich beschrieben, schien der Vietnam-Kantschil nicht einmal ein Jahrhundert nach seiner Entdeckung überdauert zu haben: Das letzte bekannte Exemplar wurde im Jahr 1990 von einem Jäger erschossen. Experten der Global Wildlife Conservation (GWC) gingen jedoch Berichten von Einheimischen im Süden Vietnams nach, die von kleinen Tieren mit silbrig gefärbtem Rücken sprachen. In diesem Merkmal unterscheidet sich der Vietnam-Kantschil von anderen Hirschferkeln, die ebenfalls in Südostasien leben.

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Also stellte ein Team um An Nguyen, der für die GWC und das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung arbeitet, in der Region der Küstenstadt Nha Trang Fotofallen auf. Wie die Forscher im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" berichten, lieferten schon die ersten drei Fallen 275 Bilder der verschwunden geglaubten Spezies. In einem zweiten Durchgang wurde die Region mit 29 Kamerafallen bestückt, was innerhalb von fünf Monaten nicht weniger als 1.881 Bilder von Vietnam-Kantschilen erbrachte.

Leider lässt sich damit noch nicht sagen, wie viele verschiedene Exemplare aufgenommen wurden – also auch nicht, wie groß und damit wie bedroht der Bestand ist. Als größte Gefahr gilt die in der Region übliche Praxis, Drahtschlingen auszulegen, in denen sich alle möglichen Tiere fangen können. In weiten Teilen Vietnams habe diese besonders tückische Praxis zum "Leerer-Wald-Syndrom" geführt, betonen die Forscher.

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Vorerst aber ist Freude angesagt – dicht gefolgt vom Bedürfnis nach einem Aktionsplan. Ngyuen: "Für eine sehr lange Zeit existierte diese Art nur noch in unserer Vorstellung. Diese Entdeckung, die bestätigt, dass diese Huftiere tatsächlich noch in der Wildnis leben, ist der erste Schritt, um sicherzustellen, dass wir sie nicht wieder verlieren. Wir müssen jetzt schnell handeln, um ein baldiges Aussterben nach der Wiederentdeckung zu verhindern." (jdo, 12. 11. 2019)