Foto: Fairwood Press

Der Preis ewiger Jugend ist ... ewige Unreife. Zu diesem ernüchternden Schluss kommt US-Autor Howard V. Hendrix in seiner Erzählung "Monuments of Unageing Intellect". In einer sogenannten Post-scarcity-Gesellschaft (also einer, die alle materiellen Güter im Überfluss zur Verfügung hat) betrachtet die unsterblich gewordene Menschheit das gesamte Sonnensystem als ihre Spielwiese. Hauptfigur Hisao ist einer von ihnen:

Always he found himself among the crowds of perennial boy-geniuses and intelligirls, all gloriously vibrant and flawlessly healthy – never-changing people in an ever-changing world, forever thronging to experience novel places, people, and things, and just as quickly growing bored and leaving them behind. – Erst der Kontakt mit der Künstlerin Moira, bei der die Unsterblichkeitsbehandlung nicht greift und die dafür Monumente für die Ewigkeit erschafft, bringt Hisao ins Grübeln. Und so langsam schwant ihm, dass das, was anfangs wie das fröhlichste aller Utopias rüberkam, möglicherweise eine Gesellschaft ohne Zukunft ist.

Hintergrund

"Monuments of Unageing Intellect" ist mein Favorit in der Storysammlung "The Girls With Kaleidoscope Eyes", die zehn Erzählungen von Novellen- bis Kurzgeschichtenlänge umfasst. Diese stammen aus den Jahren 2007 bis 2017; der Untertitel "Analog Stories for a Digital Age" rührt daher, dass die meisten von ihnen ursprünglich im altehrwürdigen Magazin "Analog" veröffentlicht wurden.

Ins Deutsche ist meines Wissens noch nichts von Howard Hendrix übersetzt worden – die Sammlung ist also eine gute Gelegenheit, einen Autor kennenzulernen, der die wissenschaftliche Seite von Science Fiction betont. In seinen besten Momenten kommt er damit Ted Chiang nahe; gehen ihm die Gäule durch, kann es aber auch zu sprachlichem Wildwuchs kommen. Jemand, der bislang noch nie SF auf Englisch gelesen hat, sollte vielleicht nicht unbedingt hiermit anfangen.

Zeitreisen und Uplifting

In der Regel beleuchtet Hendrix pro Geschichte jeweils ein Konzept. Das kann zum Beispiel das gute alte Großvater-Paradoxon sein wie in "Knot Your Grandfather's Knot". Darin reist ein Chaostheoretiker ins Jahr 1939 zurück, um die Weltausstellung von New York zu besuchen, die noch ganz dem Glauben an eine strahlende Zukunft gewidmet war und im Rückblick vor allem Retro-Flair verbreitet. Auch in "The Perfect Bracket" scheint es um Zeitreisen zu gehen: Das argwöhnt jedenfalls ein Ermittler, als er einen Mann zur Rede stellt, der auf sämtliche Ergebnisse einer College-Basketball-Saison richtig gewettet hat. Seine Chancen lagen bei 9,2 Trillionen zu eins, da muss doch etwas faul sein ...

"The Infinite Manqué" wiederum geht vom Infinite-Monkey-Theorem aus, dem zufolge eine unbegrenzte Zahl von Affen, die wahllos auf Schreibmaschinentasten einhämmern, irgendwann einmal auch das Gesamtwerk von William Shakespeare hervorbringen muss. Bei Hendrix reicht schon eine sehr begrenzte Anzahl von Bonobos, denen allerdings intelligenzsteigernde Mittel verabreicht wurden. Die Geschichte erinnert an David Brins "Uplift"-Romane ebenso wie an Daniel Keyes' "Blumen für Algernon". Dass sie ein ebenso tragisches Ende nehmen wird wie Letzteres, macht schon ihr Anfang klar – dennoch bleibt sie packend bis zuletzt.

Ein weiteres intelligenzgesteigertes Tier tritt in "Rover, Rover" auf; in diesem Fall geht es um den Hund Cogzie, der zusammen mit seinem Herrchen eine Mini-Marskolonie bildet. Leider entwickelt Cogzie mit der Zeit aber die Obsession, dass er nur die jüngste Inkarnation eines vor Urzeiten verfluchten Hundes sei. Der sei quer durch die Geschichte bei den unterschiedlichsten Katastrophen wieder und wieder ums Leben gekommen – und stets hätten die beteiligten Menschen ihm denselben Satz ins Grab mitgegeben: "Zum Glück war der einzige Todesfall ein Hund." Kein Wunder, wenn Cogzie langsam knurrig wird.

In der Infosphäre

"Palimpsest" ist eine der Geschichten, in denen die informationstechnologische Vernetzung noch ein gutes Stück weiter vorangeschritten ist als in unserer Gegenwart. In dieser speziellen Erzählung wimmelt es in der i-sphere allerdings nur so vor godspam: überaus lästigen Textnachrichten mit religiösen Bezügen. Ein Unternehmen will diesen Datenmüll ein für alle Mal entsorgen und löst damit unversehens die Apokalypse aus.

Ähnlich immersiv ist die Datenwelt im novellenlangen "Whatever Became of What Might Have Been". Extrem-E-Sportler Andy umrundet darin den Globus, indem er sich durch die Gaming-Netzwerke seiner im Orbit residierenden Freunde surft. Zumindest ist das der Hauptstrang der Erzählung. Die etwas überkomplexe Geschichte ist nämlich wie russische Puppen aufgebaut: Der Hauptstrang untergliedert sich ohnehin schon in virtuelle und physische Geschehnisse. Dazu kommt Andys zunächst rätselhaft bleibende verzögerte Zeitwahrnehmung, und eingebettet ist das Ganze noch in einen Rahmen, der in unserer Gegenwart angesiedelt zu sein scheint. Nicht zu vergessen auch die enorme sprachliche Dichte. Beim Lesen der Geschichte fühlt man sich ein bisschen wie eine Ameise, die auf dem Gordischen Knoten herumkrabbelt und den Ausgang sucht.

Ebenfalls Novellenlänge hat die Titelgeschichte "The Girls With Kaleidoscope Eyes", ist allerdings wesentlich einfacher zu lesen. Im Kern ist es eine modernisierte Version von John Wyndhams Klassiker "The Midwich Cuckoos" (verfilmt als "Dorf der Verdammten"). Auch hier ist neun Monate nach einem mysteriösen Vorfall in einer Kleinstadt eine Generation von Kindern mit gruseligen Fähigkeiten geboren worden. Nach einem Sprengstoffanschlag auf diese Kinder sieht sich FBI-Agentin Ciera Onilongo mit einem Puzzle konfrontiert, in dem eine Mormonensekte, ein Daten-Center der NSA und die Angst vor einer technologischen Singularität entscheidende Rollen spielen.

Eindeutig lesenswert, aber nicht einfach

Wie gesagt: In seinen besten Momenten kommt Hendrix Ted Chiang nahe. Dass er ihn nicht erreicht, liegt an der mitunter mangelnden Klarheit. "Habilis" beispielsweise dreht sich um das Konzept der Chiralität, also der Bevorzugung einer Seite bzw. Richtung in der Natur – nur läuft die Geschichte letztlich auf nichts hinaus. Entscheidender ist der Punkt Klarheit aber in der Sprache. Chiang erreicht seine Wirkung dadurch, dass er seine keineswegs simplen Inhalte auf beispiellos leichtverständliche Art vermitteln kann. Um damit gleichziehen zu können, fehlt es dem wortspielverliebten Hendrix an sprachlicher Disziplin.

Auf der Haben-Seite steht dafür, dass Hendrix' kreative Formulierungen ihr eigener Wert sind. "Trocken wie ein Popcorn-Furz" werde ich in meinen Wortschatz aufnehmen. Und an den Schluss stelle ich ein schönes Zitat, das zugleich einen weiteren Unterschied zwischen Hendrix und Chiang illustriert – nämlich dass Hendrix der deutlich pessimistischere Autor der beiden ist: "In a world of dreamers, somebody has got to have the nightmares."