Noch sind Michael Ludwig (SPÖ) und seine Stellvertreterin Birgit Hebein (Grüne) gut aufeinander zu sprechen. Das könnte sich durch Türkis-Grün ändern.

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Wien – Kommt es zur ersten türkis-grünen Koalition auf Bundesebene, wird sich das auch auf die Wahlen in Wien 2020 auswirken. Und da könnte die Regierungsbeteiligung im Bund den Wiener Grünen unter Frontfrau Birgit Hebein Probleme machen.

So schwor sich die grüne Landesorganisation in der Vergangenheit stets auf die Heldenerzählung ein, selbst die einzige klare Alternative zu all dem zu verkörpern, was auf Bundesebene geschieht. "Wer Rot-Grün will, muss grün wählen", hieß es schon im Wien-Wahlkampf 2015 auf den Plakaten des Juniorpartners. Mit Start der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung 2017 verstärkten sich diese Frontlinien: Wien mit den Grünen auf der einen Seite, der Bund auf der ganz anderen.

"Kurz hat offensichtlich vom normalen Leben keine Ahnung"

Dieses strategisch aufgebaute Konstrukt würde freilich in sich zusammenbrechen. Anfang des Jahres, als die Regierung die Mindestsicherungsreform im Ministerrat fixierte, posaunte Hebein noch heraus: "Kanzler Kurz hat offensichtlich vom normalen Leben keine Ahnung." Die Gesetzesänderung unter Kurz, sagte Hebein, sei ein "unmenschliches Armutsförderungsprogramm". Von Wahlkampf und einem Ibiza-Video war zu diesem Zeitpunkt noch lange keine Rede.

Doch es sei wie im richtigen Leben, betonte Hebein nach den ersten türkis-grünen Sondierungsrunden, nach Kurz gefragt: "In dem Augenblick, wo man Menschen direkt begegnet, verändern sich auch die Bilder im Kopf."

Den potenziellen Partner anpatzen? Das geht sich nicht aus. In Sachen Mindestsicherung hat sich Hebein hingegen schon klar positioniert: Sie will beim Wiener Modell bleiben und das von Türkis-Blau ausgearbeitete Bundesmodell 2020 nicht umsetzen. Aus diesem Dilemma käme Hebein nur mit einer weiteren Mindestsicherungsreform im Bund heraus.

Zusammenfassung der Livediskussion vom Montag: Die ÖVP-nahe Politikberaterin Heidi Glück diskutiert mit dem ehemaligen Grünen-Strategen Lothar Lockl darüber, wie eine Koalition der ÖVP mit den Grünen gelingen kann.
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Nicht nur das Wegfallen eines klaren und starken Gegenübers – eines Übels, vor dem es zu warnen und das es zu verhindern gilt – würde den Wahlkampf der Wiener Grünen erschweren. Viel stärker dürften Kompromisse bei strittigen Themen wie Klima, Soziales oder Migration unter der ersten Bundesbeteiligung der Grünen ins Gewicht fallen. Dadurch würde die gerade erst zurückeroberte Glaubwürdigkeit Risse erhalten, und es würde die tendenziell linke Wählerschaft in Wien erzürnen.

Dünne Personaldecke

Ein anderes Szenario ist, dass Türkis-Grün erst Leuchtturmprojekte formuliert – und sich später strittigen Themen annähert. Damit wäre den Grünen im Wiener Wahlkampf geholfen. Dieser Deal müsste dann aber auch für gemeinsame Projekte gelten, die der Wiener ÖVP schaden könnten.

Ein Problem ist die Personaldecke: Die Grünen müssten für die Bundesarbeit zwangsweise aus dem etablierten Wiener Personalpool schöpfen und diesen ausdünnen. Partei, Klub und Regierung brauchen Mitarbeiter – die größte Personalreserve der Grünen ist ihre Wiener Organisation.

Und dann wäre da noch Hebeins persönliche Zukunft. Mehrfach abgelehnt hat die Stadt-Vize bereits einen Wechsel in ein Ministerium. Doch wird ihr hartnäckig nachgesagt, einen Plan B zu haben. Würde Parteichef Werner Kogler die ehemalige Sozialarbeiterin beknien, sich ihres Herzensthemas anzunehmen, käme sie wohl kaum aus. Was wiederum zu einer ungeklärten Führungsfrage in der Wiener Partei leiten würde: Monatelang haben die Grünen 2018 gebraucht, um Hebein als Spitzenkandidatin zu bestimmen. Diese Zeit fehlt jetzt.

SPÖ verliert ihr Schreckensszenario eines FPÖ-Bürgermeisters

Die Bürgermeisterpartei SPÖ bereitet sich intern längst auf den Wien-Wahlkampf vor. Das jahrelang bemühte Schreckensszenario einer FPÖ-Übernahme der Stadt hat sich vorerst in Luft aufgelöst. Auch hier ist im Wien-Wahlkampf eine neue Erzählung nötig. Eine Wachablöse durch eine türkis-grün-pinke Allianz, vor der Ludwig die Wähler warnen könnte, ist demgegenüber aber viel komplexer zu erklären als ein einfacher Zweikampf.

Stadtchef Michael Ludwig dürfte bei einer grünen Regierungsbeteiligung im Bund jedenfalls seinen Juniorpartner nicht verschont lassen, um Wähler und Funktionäre zu mobilisieren: Ludwig könnte den Grünen umstrittene Zugeständnisse, die sie im Bund mit der ÖVP eingehen, unter die Nase reiben. Die zu erwartenden Friktionen zwischen SPÖ und Grünen in Wien haben vorerst keine Auswirkungen auf den geplanten Wahltermin im Herbst. Ludwig bekräftigte bisher seine Position, die Wahlen nicht aufgrund taktischer Überlegungen vorzuziehen. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 13.11.2019)