Niko Alm ist Autor, Addendum-Geschäftsführer und ehemaliger Nationalratsabgeordneter der Neos. Im Gastkommentar sieht er im Verzicht auf politische Werbung auf Twitter nicht die beste Lösung gegen Propaganda, da dadurch ein Aspekt des politischen Gebarens ausgeblendet wird.

Diese Woche noch will Twitter die neuen Regeln für den Stopp politischer Werbung bekanntgeben. Den zwitschernden US-Präsidenten dürfte der Bann auch künftig nicht von undiplomatischen Tweets abhalten.
Foto: Imago/Stephen Chung

Twitter ist der lebende Beweis dafür, dass jeder sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen kann. Es gibt kaum einen böseren Ort öffentlicher Debatte. Einen "cesspool" (Jauchegrube) nennen es manche, angesichts einer Konfliktkultur, die gerne ad hominem praktiziert wird, mit dem Ziel, das Gegenüber zur Verzweiflung und Selbstlöschung zu bewegen. Dieses Verhalten reicht weit in die Zivilgesellschaft hinein, umfasst links wie rechts, Matriarchat und Patriarchat gleichermaßen. Politische Positionen werden zu plakativen Schlagworten abgekürzt und demagogisch über einzelne Begriffe katalysiert. Wer "neoliberal" oder "Lügenpresse" in einem zeichenbeschränkten Tweet verbaut, erspart sich jedes weitere Argument. Zuspruch anderer User verstärkt dieses Verhalten.

US-Präsident Donald Trump selbst hat mit dieser Form der Kommunikation nicht nur seine enorme Reichweite vergrößert, sondern maßgeblich dazu beigetragen, das Niveau der politischen Debatte zu senken.

Twitters Verantwortung

Fast jede Botschaft konnte bisher auch als bezahlte Anzeige über die Plattform verbreitet werden. Ab 22. November will das werbefinanzierte Twitter aber auf jegliche politische Werbung verzichten. Wer sich wie auch Trump sein Publikum erarbeitet hat, darf aber weiterhin demagogisch und mit vorsätzlichen Lügen agitieren. Twitter-CEO Jack Dorsey begründet diesen Schritt mit demokratischer Verantwortung.

Die progressive Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez lobte sein Vorgehen: "Bezahlte Desinformation nicht zuzulassen ist eine der grundlegendsten ethischen Entscheidungen, die ein Unternehmen treffen kann."

Aber um welchen Preis? Das Mitleid angesichts der Reduktion politischer Werbung hält sich wahrscheinlich in Grenzen, aber das ist unerheblich. Wir wissen nicht einmal, wie groß das Problem ist – also welche und wie viele dieser Werbebotschaften den Maßstäben Twitters nicht genügen. Ocasio-Cortez übersieht, dass damit auch alle anderen Formen der bezahlten Verbreitung politischer Information betroffen sind. Ihrer Reichweite mit einem der stärksten Politikaccounts kann das wenig anhaben, sie versteht es – ebenso wie Trump -, mit knappen, akzentuierten Aussagen ihre eigene Popularität zu vergrößern. Wohldosierte Rebellion und Junktimierung ad hominem bringen mehr Klicks und Sympathie als rein sachlicher Dialog.

Zuletzt stellte Ocasio-Cortez diese Fähigkeit unter Beweis, als sie Mark Zuckerberg bei einem Ausschuss-Hearing nach Ansicht mancher Medien "grillte". Weniger voreingenommen sah man einen Tech-CEO, der durchaus höflich die Vorgangsweise von Facebook, sich selbst nicht in der Rolle des Zensors zu sehen, verteidigte und trotzdem keinen Gefallen daran findet, dass User über seine Plattform Lügen verbreiten.

Gegen die Intuition

Dass sich Ocasio-Cortez glaubwürdig für ein besseres Zusammenleben engagiert, während Trump maximal an sich selbst denkt, kann man ihr schwer übelnehmen. Doch genau das ist das Problem mit der Meinungsfreiheit. Persönliche Integrität und gesellschaftliche Verantwortung sind eben keine Teilnahmebedingungen für den öffentlichen Diskurs und das Recht der freien Rede. Das Wesen der Meinungsfreiheit ist die Duldung, dass jede noch so bornierte Ansicht bis hin zur Unwahrheit auch geäußert werden darf. Naturgemäß nicht, ohne auch vehementen Widerspruch hinnehmen zu müssen. Durch diesen scharfen Diskurs sollten sich moderne, demokratische Gesellschaften auszeichnen. Was gesagt werden darf, folgt neben engen gesetzlichen, auch weichen, ethischen Grenzen, die in einem gesellschaftlich und auch individuellen Ermessensspielraum liegen. Diese Elastizität fordert Debatte. Doch genau diese ist oft unerwünscht, weil sie unbequem ist und für manche überflüssig wirkt.

Daher wird als Abkürzung oft der Versuch unternommen, den Dialog gleich vollständig zu unterbinden. Wer die "falsche" oder eine Position der "Nichtmeinung" vertritt, darf zwar prinzipiell, soll aber nicht als Sanktion, sondern präventiv und praktisch nicht am Diskurs teilnehmen. Die Steigerung davon, etwas nicht hören zu wollen, ist, es zu verbieten, damit es andere erst gar nicht hören können.

Was Dorsey vorschlägt, geht in diese Richtung: Ein Teil der bezahlten, werblichen Kommunikation erfolgt manipulativ, deswegen drehen wir den Zirkus gleich ganz ab.

Das ist nicht die beste Lösung, weil sie einen Aspekt des politischen Gebarens ausblendet, auch wenn auf Twitter niemand die Propaganda vermisst. Das Heraushalten jeglicher politischen Botschaften lässt aber auch die notwendigen Fertigkeiten im sachlichen Diskurs verkümmern. Wer sich einem Teil öffentlicher Kommunikation dauerhaft entzieht, wird ihr sprachlich auch nichts entgegensetzen können. Es mag für Twitter und den Beifall Klatschenden verlockend sein, ein gutes Beispiel für ethisches Handeln abzugeben, aber auch der symbolische Nutzen ist zweifelhaft.

Ein Doppelstandard

Falschinformation als Werbung zu verbieten und organisch gewachsener Demagogie den Vorzug zu geben wirkt als DoppelStandard moralistisch. Und schlussendlich hält Dorsey seine eigenen User für nicht ausreichend intelligent, gekennzeichnete Werbebotschaften richtig einzuordnen. Besser wäre, hier Transparenz zu schaffen durch einen Ausweis des Auftraggebers, der Auffindbarkeit seiner Kampagnen, deren Volumen und Targeting. Das erlaubt Usern, die Botschaften selbst einzuordnen. Menschen muss der mündige Umgang mit Medien zumutbar sein. Wer den Glauben daran aufgegeben hat, wird auch mit Bevormundung nichts bewirken. (Niko Alm, 13.11.2019)