"Die Alten verstehen die Jungen nicht", sagt der 25-jährige Start-up-Unternehmer Samuel Koch, "sie stehen uns überall im Weg." Ganz anders sieht das Technikfolgenabschätzerin Ulrike Bechtold. Im Gastkommentar antwortet sie: Die Abschätzung von Technikfolgen braucht (Lebens-)Zeit.

Als Technikfolgenabschätzerin befinde ich mich mit knapp über 40 bereits auf der von Samuel Koch definierten altersbedingten Exitrampe: Ich könne den technischen Neuerungen nicht folgen und stehe im Weg. Mich zurückzuziehen wäre zumindest für Koch wohl ohnehin kein großer Schaden, da mein Job in naher Zukunft von Bots, Algorithmen und AI übernommen werden würde. Dem widerspreche ich naturgemäß vehement.

Wissenschaftliche Karrieren sind gewöhnlich nicht mit 25 auf dem Höhepunkt, und Tätigkeiten wie die Abschätzung von Technikfolgen brauchen (Lebens-)Zeit: Orientierung, wer die Akteure und wer die Nutzer sind und welche unterschiedlichen Folgen die Technologie für diese zeitigt. Fragen, wer profitiert und für wen die Gefahr negativer Folgen besteht und wie allenfalls damit umzugehen ist, lassen sich nur nach minutiöser Arbeit seriös beantworten. Solche Fragen sind unumgänglich, da Technologie nicht neutral ist: Was sich Macher denken, wenn sie etwa technische Systeme für smarte Haushalte entwerfen, womit sie ihre Problemannahmen beginnen, ist in den technischen Anwendungen eingeschrieben und wirkt sich auf alle Nutzer aus.

Konsumlos glücklich

Ältere Nutzerinnen zählen zu den schwierigeren Kunden für technische Neuerungen. Sie müssen nicht jedes Gadget – aus Sorge, den Anschluss zu verlieren – haben.
Foto: APA/AFP/Georges Gobet

Auch soziale Medien basieren auf einem identifizierbaren Wertekanon. Sie sind daher ebenso wenig neutral, wie es die Technik ist, auf der sie basieren: Wer bestimmt – gottgleich – die Werte, die den Algorithmen eingeschrieben werden? Elon Musk, Mark Zuckerberg oder gar Samuel Koch? Letzterer setzt soziale Medien glatt mit direkter Demokratie gleich. Dabei ist der Götze schnell identifiziert: Profit! Vergessen scheint das Menschenrecht zu sein, nach anderen Maximen zu leben, zu handeln als nach konsumorientierten Kriterien. Dabei könnte es sein, dass es durchaus andere relevante Ausprägungen des Menschseins gibt als die der "digitalen Konsumenten", um deren technischen Exit es in Kochs Betrachtungen ausschließlich geht. Wenn wir auch in Zukunft gut leben wollen, müssen wir solche Konsummuster hinterfragen und unsere Fähigkeit aufrechterhalten, auch konsumlos glücklich zu sein.

Interessanterweise kritisiert Koch nahezu alles, worauf sein eigenes Absatzmodell basiert: Machtstrukturen – etwa in der Wirtschaft – werden von Händlern wie ihm nicht nur genutzt, sondern perpetuiert. Er kritisiert den Amtsschimmel und althergebrachte Machtstrukturen und übersieht dabei, dass er qua eigener Aussage selbst zum Diktator mutiert, der sich anschickt, andere Lebensmodelle und Wertgefüge rigoros abzuurteilen, ja letztlich deren Existenzberechtigung selbst infrage zu stellen.

Lebenserfahrung schätzen

Dass ältere Nutzer die schwierigeren Kunden für technische Neuerungen sind, liegt keineswegs an deren mangelnden Fähigkeiten oder Fertigkeiten, wie Koch leichthin vermutet. Das liegt vielmehr daran, dass es sich um viel kritischere Kunden handelt, die nicht jedes Gadget haben müssen. Sie entscheiden sehr bewusst, was sie (nicht) haben oder tun wollen. Die Grundlage, solche Entscheidungen zu treffen, schöpfen sie aus ihren Lebenserfahrungen. Hier eine Exklusion auch nur zu denken oder gar zu forcieren ist nicht nur fragwürdig und fahrlässig, sondern geradezu dumm: Ältere Menschen in Europa verfügen über eine durchaus relevante Kaufkraft.

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Herr Koch, auch Sie werden hoffentlich älter: Das Video Natural Blues von Moby illustriert das Verschwimmen von Realität und Vorstellung anschaulich. Der damals junge Sänger mimt sich selbst als alten Mann: in einer technisierten Welt, die heute überholt scheint. Dennoch werden immerwährende wesentliche Fragen thematisiert: Wie werden wir älter? Was wollen wir und was wollen wir nicht? Für abertausende älter Werdende in Europa ist es sicher nicht das von Koch skizzierte digitale Abstellgleis, sondern die Vision von Selbstbestimmung und davon, nach wie vor einen aktiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. (Ulrike Bechtold, 13.11.2019)