Stuart A. Staples von den Tindersticks: ein begnadeter Erstversorger in der Pathologie der gebrochenen Herzen.

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November hat immer Saison. Zumindest bei den Tindersticks. Unabhängig vom tatsächlichen Kalenderblatt veröffentlicht die britische Band seit 1993 prächtige Nebelwettermusik. Hin und wieder ist der Veröffentlichungstermin mit der Kunst deckungsgleich, so wie bei dem am Freitag erscheinenden "No Treasure But Hope".

Als Chronisten einer immerwährenden Melancholie bieten sie, was man von ihnen erwartet: Gebrochene Herzen, weich gepolstert und liebevoll erstversorgt. Als Notarzt ist verlässlich Stuart A. Staples zur Stelle. Sein Knödelbariton ist Balsam für frische Wunden, seine Hände sind warm und zärtlich.

Amputationen

Wenn man den heimlichen Hit des Albums hört, möchte man den Notarztvergleich zwar gleich wieder zurücknehmen, aber nur wegen eines ohnehin nur metaphorisch verwendeten Songtitels will man nicht gleich neu denken. "The Amputees" meint natürlich nicht abgenommene Extremitäten, sondern die Phantomschmerzen einer verlorenen Liebe. Auch diese Wunde tamponiert die Band mit einem pulsierenden Bass und vorsichtigen Vibrafontupfern. Derweil singt Staples vom Stigma des Verlassenseins und versteigt sich in ein "I miss you so bad" als tränenfeuchten Refrain.

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Es ist ein Lied im Midtempo, das sich die Tindersticks vielleicht zu selten gönnen. Unerreicht bleibt die atemberaubende Dramatik ihres Debüts, mit dem sie einst wie ein kosmisches Wunder auf die Erde gefallen wirkten. Auch auf "No Treasure But Hope" verweilen sie im Balladenfach.

Ereignisarmut

Man bremst sich ein, wie es ein Rückschlag tut, dabei erblüht die schattige Schönheit dieser Musik. Mitunter schleicht sich dabei aber auch eine gewisse Ereigbnisarmut ein, mit der die Tindersticks die Geduld ihres Publikums prüfen, zumal sie sich formal nicht wahnsinnig fordern: Eine Ballade ist bei den Tindersticks eine Ballade ist eine Ballade ist eine Ballade. Soll sein.

Solange sie damit individuelle Schmerzen so universell verständlich behandeln, gibt ihnen die Conditio humana ja auch alles Recht dazu. (Karl Fluch, 14.11.2019)