Lutz Scheffer ist renommierter Experte zum Thema E-Mountainbikes und kann den Vorurteilen dagegen wenig abgewinnen.

Foto: Scheffer

Scheffer entwickelt nicht nur E-Mountainbikes, er fährt sie auch leidenschaftlich gern und viel. Auch die Tochter ist im Anhänger bereits mit von der Partie.

Foto: Scheffer

Die Bikesaison dauert für den Konstrukteur 365 Tage im Jahr.

Foto: Scheffer

Innsbruck/Garmisch – Die kürzlich vom Deutschen Alpenverein, genauer gesagt dessen größter Sektion in München, angefachte Diskussion über Sinn oder Unsinn von E-Mountainbikes hat für teils heftige Reaktionen gesorgt. Auch im STANDARD-Tretlager widmeten wir uns in den vergangenen beiden Beiträgen der Thematik. Um den vielkritisierten E-Bikern selbst eine Stimme zu geben, haben wir bei Lutz Scheffer nachgefragt, was er von der Diskussion hält.

Der Deutsche war 15 Jahre lang Head of Design bei Canyon und leitet heute für die Radschmiede Rotwild das Concept-Design-Center in Garmisch, wo auch deren neueste E-Mountainbikes entwickelt werden. Scheffer baut nicht nur E-Bikes, er fährt sie auch viel und auf sehr hohem fahrtechnischem Niveau. Dazu ist er meist in seiner Heimat, dem bayerisch-tirolerischen Grenzgebiet um Garmisch, unterwegs. Er kennt daher die Situation in Österreich und Deutschland aus erster Hand.

Unfallzahlen bei E-Bikern nicht höher

Für den Experten sind die meisten Vorbehalte, die gegen E-Mountainbikes ins Treffen geführt werden, schlichtweg Vorurteile: "Wo sind denn all diese Probleme, von denen ständig die Rede ist? Die Diskussion wird sehr emotional geführt, wirkliche Fakten gehen dabei unter." Das beginne schon bei den Unfallzahlen.

Die These, dass E-Mountainbiker ungleich häufiger verunglücken als nichtmotorisierte Bergradler, sei "unhaltbar", sagt Scheffer. Es gebe dazu keine bestätigten Zahlen. Dass Unfallzahlen insgesamt steigend sind, liege daran, dass mehr gefahren werde, nicht aber an E-Mountainbikes an sich. Dazu wurde kürzlich eine Studie mit aktuellen Unfallzahlen aus Deutschland und Österreich erstellt, die zum gleichen Schluss kommt – siehe dazu die Links am Textende.

Zudem ist Scheffers Lebensgefährtin und Mutter der gemeinsamen Tochter, Annegret Gardill, Notärztin bei der Bergwacht, dem bayrischen Pendant der Bergrettung, und dort für die Erfassung aller Bergunfälle im Raum Garmisch/Oberland zuständig – er weiß also, wovon er spricht. In Österreich gibt es bislang keine aussagekräftigen Statistiken zu verunglückten E-Mountainbikern, da diese bei Alpinunfällen nicht eigens erfasst werden.

Trailfahren ist kein E-Mountainbike-Problem

Ebenso falsch sei die Behauptung, E-Mountainbiker würden in Massen auf Steigen unterwegs sein. "Es gibt kein E-Bike-Problem auf Trails", erklärt Scheffer. Denn die meisten – er beziffert es mit "weit über 90 Prozent" – fahren auf Forststraßen. So wie sich nur ein Bruchteil der Mountainbiker ohne E-Antrieb für das technisch anspruchsvolle Trailfahren begeistert, seien diese Enthusiasten unter den E-Mountainbikern eine noch viel kleinere Gruppe. "Der Großteil der Radfahrer, mit oder ohne E-Unterstützung, nutzt ausschließlich Forstwege", sagt Scheffer.

Und genau das sei einer der großen Pluspunkte des E-Mountainbikes, wie der Konstrukteur erklärt. Denn der große Zuwachs an Radlern in der Natur passiere talnah und eben auf den Forstwegen. Dass sich dank E-Antriebs mehr Menschen für Aktivitäten in der Natur entscheiden, sei positiv zu sehen, ist Scheffer überzeugt: "Je mehr Menschen auf das E-Bike umsteigen, umso weniger fahren mit dem Auto." Denn wegen der größeren Reichweite starten viele ihre Touren und Ausflüge direkt von zu Hause aus.

Teil der Lösung des Verkehrsproblems

Dadurch seien die Radfahrer und E-Biker sichtbarer. Was Scheffer allerdings nicht versteht, ist, warum man sich darüber aufregt: "An den Autos stört sich keiner. Wenn ich an Wochenenden in Garmisch die übervollen Parkplätze für die Wanderer sehe, müsste man doch froh sein über jeden, der auf das E-Bike umsteigt." Denn genau das würde eine Entlastung für die oft verkehrsgeplagten Menschen in den beliebten Naherholungsgebieten bringen.

Völlig irrational sei es, dass Kritiker E-Mountainbiker als Umweltsünder stigmatisieren, sagt Scheffer: "Denn in Wahrheit ist das ein hochökologisches Fahrzeugkonzept." Man benötige dafür keine neue Infrastruktur, es genüge, sie die vorhandene nutzen zu lassen. Der Energieaufwand, um ein E-Mountainbike mit dem dafür nötigen Strom zu versorgen, sei sehr gering und stehe in keinem Verhältnis zu dem, den etwa ein E-Auto benötige, erklärt der Experte.

Ressourcenaufwand und Rohstoffe

"Betrachtet man den Ressourcenaufwand, so brauchen elektrisch betriebene Kfz das 100- bis 200-fache Volumen eines E-Bikes", sagt Scheffer. Der Techniker untermauert das mit Zahlen: "Ein Pedelec fährt mit 0,5 Kilowattstunden ungefähr 100 Kilometer weit. Ein Tesla Model 3 würde damit genau 2,5 Kilometer weit kommen." Schon bei der Produktion würden E-Bikes deutlich besser abschneiden als ihr Ruf, führt Scheffer anhand eines Vergleichs aus: "Die Herstellung eines 0,5-Kilowattstunden-Fahrradakkus, wie er heute Standard ist, verursacht die Menge an CO2, die bei der Verbrennung von umgerechnet 49,5 Litern Benzin freigesetzt wird."

Dass die Gewinnung der für die Akkuproduktion nötigen Rohstoffe teils problematisch und alles andere als nachhaltig ist, räumt Scheffer ein. Allerdings sei das kein E-Bike-spezifisches Problem, sondern ein generelles der Industriegesellschaft: "In jedem hochtechnischen Produkt stecken problematische Rohstoffe, auch in Aluminium- oder Kohlefaser-Rahmen von Bikes generell." Man müsse dafür Lösungen finden, aber es als Argument gegen E-Bikes anzuführen greife zu kurz. "Denn man muss das auch ganz klar im Verhältnis zum Nutzen sehen."

Status nicht infrage stellen

Und das spreche eindeutig für das E-Bike, in welcher Ausführung auch immer, ist Scheffer überzeugt: "Fahrräder mit E-Antrieb sind vielseitig verwendbar. So werden etwa Lastenräder dadurch erst richtig gut zur brauchbaren Alternative auf der letzten Meile." Aber auch E-Mountainbikes seien mehr als bloße Sportgeräte, sagt Scheffer: "Sie werden auch im Alltag als Autoersatz genutzt, für Erledigungen, für kurze bis mittellange Wege, etwa in die Arbeit."

Wenn nun, wie zuletzt von einer Gruppe innerhalb des Deutschen Alpenvereins (DAV), gefordert wird, E-Bikern den Zugang zur Natur einzuschränken, so gehe die Diskussion in eine gefährliche Richtung, glaubt Scheffer: "Es gibt ein Recht auf Erholung in der Natur. Auch für E-Biker. Spricht man dieses Recht dieser Gruppe ab, so sägt man auch am Status des E-Bikes." Werden E-Bikes in den Wäldern und auf Bergen verboten, so werde das auch ihren Erfolg umgehend beenden. "Denn die Grundlage für den Siegeszug der E-Bikes ist das Konzept der ultraleichten Mobilität – im Alltag, im Beruf und in der Freizeit. An diesem Status darf nicht gerüttelt werden."

Die Mär von den wilden E-Bikern

Bleibt das Bad-Boy-Image, das E-Mountainbikern gerne nachgesagt wird. Sie würden rücksichtslos rasen und seien generell zu faul, sich aus eigener Kraft auf den Berg zu bewegen. Zweiteres hält Scheffer für einseitige Kritik: "Dann müsste man konsequenterweise sämtliche Aufstiegshilfen ablehnen, und der Skisport wäre damit obsolet. Und wenn ich den Aufwand vergleiche, den andere Formen von Aufstiegshilfen, wie etwa Lifte oder Kfz bedingen, so ist es wieder das E-Bike, das am besten abschneidet."

Dass E-Mountainbiker Raser seien, widerlegt Scheffer mit seinen eigenen Daten. Er fährt überdurchschnittlich viel und dokumentiert seine Fahrten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf all seinen Touren und Ausfahrten zusammengerechnet betrage zwölf km/h. "Und ich traue mich zu sagen, dass ich ein sehr sportlicher Fahrer bin", ergänzt er.

Scheffer hat kein Verständnis für die Sündenbock-Rolle, die E-Mountainbikern in mehrerlei Hinsicht angedichtet werde. Gerade hinsichtlich der Wertschätzung im Umgang mit der Natur seien die Vorwürfe gegen diese Gruppe von Bergsportlern haltlos, sagt er: "Wer meint, wir seien Umweltsünder, der verkennt die Tatsachen. Denn das sind in Wahrheit ganz andere, wie die Liftbetreiber oder die Forstwirtschaft." (Steffen Arora, 14.11.2019)