Ein Still aus "Reflecting Memory": Nur im Spiegel ist der verlorene Unterarm noch vorhanden.

Foto: Kader Attia

Es passiert nichts wirklich Schlimmes, auch nichts allzu Verstörendes in den filmischen Arbeiten des Künstlers Kader Attia, die gerade in der Galerie Krinzinger zu sehen sind. Sie erheben den Zeigefinger nicht, appellieren nicht an die Moral. Vielleicht gehen sie gerade so ans Eingemachte, weil sie so wenig von einem verlangen.

Menschen, die Gliedmaßen verloren haben, sitzen völlig ruhig vor Spiegeln – nimmt die Kamera den richtigen Winkel ein, wirken sie für den Betrachter, als würde ihnen nichts fehlen, bewegt sich die Kamera dann, enttarnt sich die optische Täuschung: Der Verlust, den die Abgebildeten immer noch spüren, wird auch für den Zuseher sichtbar. Die Arbeit Reflecting Memory dreht sich um das Phänomen der Phantomschmerzen nach Amputationen. Spiegel werden tatsächlich als Therapieform für Betroffene eingesetzt – sie sollen ihnen dabei helfen, Abschied von den verlorenen Gliedmaßen zu nehmen.

Reparieren und Reparationen

2016 erhielt der französisch-algerische Künstler Kader Attia für das Video den Marcel-Duchamp-Preis. Nicht zuletzt, weil es das Thema "Repair", das sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit zieht, so eindrücklich vor Augen führt. Verlust, (kollektive) Traumata und der Versuch des "Reparierens" im Sinne der Wiederherstellung, aber auch im Sinne der Wiedergutmachung sind die Felder, die Attia beforscht.

Seine Arbeiten, die unter dem Titel 2009:2019 Films gezeigt werden, wirken auf den ersten Blick stark dokumentarisch. Sie nehmen einen etwa in die Lebenswelten algerischer und indischer Transsexueller (Collages) mit. Durch die Gegenüberstellungen und die eigentümlichen Schnitte entwickeln sie einen fast therapeutischen Sog, der weit über bloße Dokumentation hinausgeht. Es wirkt, als würde Attia, der sich mit marginalisierten Gesellschaftsschichten beschäftigt, durch seine Kunst selbst etwas verarbeiten – selbst etwas wiedergutmachen. Respektvoll und ohne reißerisch zu sein, bestehen seine Heilungsversuche darin, die Wunden erst einmal offenzulegen. (Amira Ben Saoud, 13.11.19)