Im Gastkommentar regt Rechtsanwalt Hubertus Schumacher an, ein "Gefälle" im Rechtsschutz zu diskutieren.

Post von der Post bekam eine Professorin nach einem Interview. Sie machte den Fall öffentlich und stieß eine Debatte über Meinungsfreiheit an Universitäten an.
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Der im STANDARD publizierte Gastkommentar über ein Abmahnschreiben an eine Professorin der WU Wien wegen angeblich ehrenbeleidigender beziehungsweise kreditschädigender Behauptungen in der Debatte um die Datensammelpraxis der Post wirft zwei weitere, grundsätzliche Fragen auf. Die eine betrifft den Rechtsschutz von Universitätsangehörigen, wenn sie von Dritten wegen ihrer Äußerungen in Anspruch genommen werden. Die andere stellt sich ganz allgemein im Fall gerichtlicher Klagen auf Unterlassung und Widerruf solcher Äußerungen.

Zuerst zur Frage, ob Universitäten zu Rechtsschutz im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeber verpflichtet sind. Hiefür spricht vieles. Grundsätzlich hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch vor Angriffen außenstehender Dritter zum Beispiel in Massenmedien zu schützen, wenn diese mit dem Dienstverhältnis in Zusammenhang stehen. Eine im Rahmen einer Lehrveranstaltung, in Vorträgen oder Publikationen geäußerte Meinung einer Universitätsprofessorin steht sicher im Rahmen ihrer universitären Tätigkeit.

Dem Verfasser dieser Zeilen ist aus seiner Beratung einer österreichischen Professorin an einer deutschen Universität bekannt, dass dort um keinen Cent mehr an Rechtsschutz seitens der Universitäten gewährleistet wird. Dieses Manko kann ein gravierendes Problem für die Professorin vor allem dann sein, wenn es um erhebliche Anwaltskosten außergerichtlicher oder gerichtlicher Beratung beziehungsweise Vertretung geht. Dass die Professorin auf den Verfahrenskosten schließlich "sitzenbleibt", ist vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers unvertretbar. Auch kann dies zu einem unhaltbaren Rechtsschutzdefizit nicht nur dann führen, wenn sich ein teurer Prozess anschließt, sondern auch in den Fällen des Obsiegens der Professorin, wenn die Kosten vom Gegner nicht hereingebracht werden können.

Kosten als Drohpotenzial

Vor diesem "Kostendrohpotenzial" stellt sich häufig die Frage, ob man sich auf ein Verfahren mit ungewissem Ausgang und potenziell hoher Kostenbelastung überhaupt einlassen kann. Oder – noch weitergehend – wird schon vor diesem Szenario die "Freiheit der Lehre" (Artikel 17 Staatsgrundgesetz) massiv beschränkt, wenn man wegen des Klagerisikos zu kritischen Themen am besten lieber gar nichts sagt. Der anerkannte Satz, wonach die "Freiheit der Lehre" bedeutet, dass niemand wegen der Aufstellung eines wissenschaftlichen Lehrsatzes als solcher gerichtlich oder sonst behördlich verfolgt werden darf, verliert in Anbetracht des Kostenrisikos eines Zivilprozesses erheblich an Wirkkraft. Bedenkt man, dass regelmäßig auch das Interesse der Universität betroffen ist, bedeutet ein angemessener Rechtsschutz der eigenen Arbeitnehmer vor Angriffen Dritter in Wirklichkeit mittelbar auch Schutz der Universität selbst. Daher sollten dringend Rechtsschutzmodelle geprüft werden, die Professoren vor Klagen, die ihre universitäre Tätigkeit betreffen, rechtlich schützen.

Der zweite Punkt betrifft ein mögliches fortgeschrittenes Stadium, nämlich die Einbringung einer Klage durch den angeblich Beleidigten oder in seinem Kredit Geschädigten. Das Zivilprozessrecht ermöglicht dem Kläger, der eine nicht auf Geld gerichtete Klage, zum Beispiel eine Unterlassungs- oder Widerrufsklage, erhebt, die Bewertung des Streitgegenstands nach der "Höhe seines Interesses". Dieses Interesse ist im Prozessrecht nicht näher definiert, also ermöglicht es dem Kläger den "Streitwert" nach seinem Gutdünken festzusetzen. Demnach begegnen in der Praxis ganz unterschiedliche Bewertungen, je nachdem, wie ein Kläger sein eigenes Interesse an der Beseitigung der ihm angeblich widerfahrenen Beleidigung oder Kreditschädigung in Geld bewertet. Bei sehr hohen Bewertungen hat man manchmal den Eindruck, dass auch die Einschüchterung eine Rolle spielt. Denn der Streitwert entscheidet nicht nur über die Gerichtsgebühren, sondern auch über die Anwaltskosten. Mit der Bewertung nach dem "Interesse" des Klägers ist daher der Druck auf den Beklagten steuerbar und kann auch dazu benützt werden, dessen Kostenrisiko in solche Höhen hinaufzuschrauben, dass mancher Beklagte "in die Knie geht" und von einer Einlassung in den Prozess Abstand nimmt.

"Gefälle" im Rechtsschutz

Eine gerichtliche Korrektur des Streitwerts ist nur eingeschränkt möglich: Der Beklagte kann den Streitwert bemängeln, der Richter setzt dann den Streitwert durch Beschluss fest. Häufig kommt es vor, dass der Richter den Streitwert in der Mitte der beiden Parteiangaben festlegt, was bei einer sehr hohen Streitwertangabe durch den Kläger immer noch eine für den Beklagten riskante Streitwerthöhe übrig lässt. Dass der Beklagte durch mehr oder minder willkürliche Streitwertfestsetzung des Klägers von einer Prozessführung abgehalten werden kann, ist mit dem Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6 EMRK) nicht vereinbar. Was den Rechtsschutz des Beklagten überdies einschränkt, ist der Umstand, dass die Entscheidung des Richters über den Streitwert nicht einmal angefochten werden kann (§ 7 Abs 2 Rechtsanwaltstarifgesetz).

Es hat den Anschein, als ob derjenige, der eine Beleidigung oder Kreditschädigung behauptet, rechtlich besser geschützt ist als jener, der sich dagegen wehren muss. Tatsächlich ist es an der Zeit, eine ernsthafte Diskussion über dieses "Gefälle" im Rechtsschutz auf legislativer Ebene zu führen. (Hubertus Schumacher, 14.11.2019)