Ankara/Athen/Hamburg – Die türkische Regierung beschuldigt Griechenland, zehntausende Migranten illegal in die Türkei abgeschoben zu haben. Laut Dokumenten des türkischen Innenministeriums soll Griechenland in den zwölf Monaten vor dem 1. November 2019 insgesamt 58.283 Menschen in die Türkei zurückgebracht haben, ohne ihnen ein Asylverfahren zu gewähren, berichtet der "Spiegel".

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Oft werden Migranten, die die Route über den Grenzfluss Evros nehmen, wieder zurückgeschickt, heißt es in dem Bericht.
Foto: Reuters/Alkis Konstantinidis

Die meisten registrierten Fälle betrafen demnach pakistanische Staatsangehörige (16.435), gefolgt von Afghanen, Somaliern, Bangladeschern und Algeriern. Dazu kommen mehr als 4.500 Syrer. Türkischen Angaben zufolge lag die Zahl der illegal Zurückgebrachten laut dem Bericht allein im Oktober 2019 bei mehr als 6.500.

"Pushbacks" werden diese illegalen Rückführungen genannt. Europäisches und internationales Recht sähe vor, potenziellen Asylwerbern den Zugang zu einem Asylverfahren zu gewähren. In letzter Zeit werden laut dem Bericht vermehrt Migranten zurückgebracht, nachdem sie mit Booten den Grenzfluss Evros überquert hätten.

Starker Anstieg seit 2016

Behördenangaben zufolge wurden zwischen Anfang Jänner und Ende September 91.681 illegale Migranten allein in der türkischen Provinz Edirne aufgegriffen. Das sei ein dramatischer Anstieg im Vergleich zu den dort knapp 30.000 Festgenommenen im Jahr 2016, was den inzwischen wieder erhöhten Druck an den Außengrenzen Europas widerspiegle. Laut türkischen Behörden gaben mehr als 55 Prozent der festgenommenen Migranten an, es nach Griechenland geschafft zu haben, aber trotzdem zurückgebracht worden zu sein.

Die Grafik zeigt, wie die Zahl der Ankünfte in Spanien, Italien und Griechenland seit dem Jahr 2016 wieder gestiegen ist.
Grafik: APA

Das türkische Material, berichtet das Nachrichtenmagazin, umfasse Fallberichte, Interviewprotokolle und Fotos, die angeblich Migranten zeigen, die von griechischen Behörden misshandelt wurden. Menschenrechtler werfen Griechenland seit Jahren illegale Rückführungen an der Landgrenze zur Türkei vor. Laut "Spiegel" lasse die Menge der Zeugenaussagen große Zweifel an den Dementi der Griechen laut werden.

Athen dementiert Vorwürfe

Griechenland wies die Vorwürfe zurück und ließ über einen Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag in Athen verlauten: "Das haben wir bereits mehrmals dementiert. Griechenland ist ein Rechtsstaat." Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte Griechenland schon Ende Oktober beschuldigt, sogenannte "Push-backs" in die Tat umzusetzen. Vor drei Wochen hatte das griechische Außenministerium mitgeteilt, die Anschuldigungen der Türkei dienten lediglich dazu, davon abzulenken, dass das Land den Flüchtlingspakt mit der EU nicht einhalte.

Überfüllte Registrierlager

Griechenland kämpft unterdessen weiter mit völlig überfüllten Registrierlagern der Inseln im Osten der Ägäis. Um diese zu entlasten, brachte die Regierung in Athen am Donnerstag erneut 385 Migranten zum Festland. Diese Menschen sollen in Lagern, Wohnungen und Hotels in verschieden Regionen des Landes untergebracht werden, wie das Staatsfernsehen ERT weiter berichtete. Nach Regierungsangaben sollen bis zum Jahresende 20.000 Migranten von den Inseln zum Festland gebracht werden.

Nach jüngsten Angaben des Bürgerschutzministeriums in Athen haben allein am Dienstag 367 und am Mittwoch 380 neue Migranten aus der Türkei zu den griechischen Inseln übergesetzt, berichtete das Staatsfernsehen. Auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos befinden sich zurzeit knapp 35.800 Migranten. Am schlimmsten ist die Lage im Registrierlager von Samos, das Platz für nur 648 Menschen hat. Dort harren mehr als 6.000 Migranten aus. (APA, red, 14.11.2019)