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Manche Blurbs geben schon Rätsel auf: "Adrift" soll perfekt für Fans von Adrian Tchaikovskys "Die Kinder der Zeit" und Becky Chambers' "Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten" sein. Also, um den intellektuellen Abstand zwischen diesen beiden Titeln zu überbrücken, braucht man schon ein sehr schnelles Raumschiff. Und der aus Südafrika stammende Autor Rob Boffard ("Tracer") hat in seinem jüngsten Roman bloß ein kleines Beiboot zur Verfügung, also erst mal schauen, wie sich das ausgehen könnte.

Der Plot

"Adrift" beginnt mit einer Weltraumschlacht, die sich zwar als Virtual-Reality-Spiel erweisen wird – man kann aber davon ausgehen, dass der Autor damit ein frühes Versprechen in Sachen Plot abgibt: Es wird um Tempo und Action gehen. Und einen realen Konflikt gibt es in der Mitte des 22. Jahrhunderts angesiedelten Handlung tatsächlich. Erst vor zehn Jahren ist ein Krieg zwischen den Kolonialwelten und der Frontier genannten Domäne der Erde zu Ende gegangen. Ressentiments gibt es nach wie vor, auch an Bord einer Raumstation, die in der Nähe eines Wurmlochs eine Doppelfunktion als Erzlager und Luxushotel erfüllt: Von hier aus hat man nämlich einen sagenhaften Blick auf den Pferdekopfnebel, was die Touristen in Scharen anlockt.

Eines grässlichen Tages kommt jedoch ein unbekanntes Raumschiff angeflogen und schießt die Station ohne Vorwarnung in Stücke. Die einzigen Überlebenden des Massakers hielten sich gerade an Bord des Ausflugsboots "Red Panda" auf und finden sich nun vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten wieder. Das Wurmlochportal ist zerstört und bis zum nächsten Außenposten der Zivilisation sind es Lichtjahre, die die kleine "Red Panda" mit all ihren technischen Mängeln niemals überbrücken könnte. Vorräte gibt es kaum an Bord – und wenn man schon denkt, schlimmer geht's nimmer, verschärft sich die Lage noch einmal.

Die Besetzung

"Adrift" ist ein Ensemblestück, eigentliche Hauptfigur(en) gibt es keine. Zu den zehn Überlebenden zählen unter anderem Hannah Elliot, die gerade ihren ersten Arbeitstag als Reiseführerin angetreten hatte, und die "Red Panda"-Pilotin Jana Volkova. Der Rest ist ein buntes Häuflein Weltraumtouristen: der Hotelkritiker und Alkoholiker Jack Tennant, die rüstige Asteroid-Mining-Veteranin Lorinda Esteban, die Frischvermählten Brendan und Seema O'Hara sowie die vierköpfige Familie Livingstone; unter Letzteren wird der Raumschiff-begeisterte Bub Corey mit seinem "Fachwissen" eine besondere Rolle spielen (aber keine Angst, nicht so ätzend wie Wesley Crusher). Den Großteil der Protagonisten lernen wir übrigens erst kennen, während bereits die Explosionstrümmer der Raumstation herumfliegen, hier wird keine Zeit verschwendet.

Man hat unwillkürlich Samweis Gamdschies aufbauende Ansprache an Frodo im Ohr, wenn Jana Hannah einbläut, dass Geschichten Heldenrollen brauchen: "This is your chance." Tatsächlich wird der eine oder andere der Protagonisten noch über sich hinauswachsen. Andere hingegen werden die Anstrengungen wieder zunichtemachen. Boffard liefert uns hier keine Instant-Heldentruppe, in der die Vernunft regiert. Schon eher gleicht die menschliche Gemengelage der von "The Walking Dead": An allen Ecken und Enden wird die Zusammenarbeit von Schwächen, Konflikten und persönlichen Geheimnissen beeinträchtigt.

Spannung als Trumpf

Ob und wie diese Zufallsgemeinschaft das Überleben meistert, ist einer der Faktoren, aus denen der Roman Spannung bezieht. Die anderen sind offensichtliche Fragen: Wer war der Angreifer – waren es Menschen oder Aliens? Haben sie "nur" die Raumstation zerstört oder gab es einen simultanen Angriff auf die ganze Menschheit? Und lauert das feindliche Raumschiff immer noch in der Nähe?

Auf letztere Frage lautet die Antwort übrigens ja, was unter anderem zum Unfug führt, dass man sich an Bord der "Red Panda" zeitweise kein Geräusch zu machen traut, als treibe man wie in "Das Boot" durchs Wasser und nicht durchs Vakuum. Auch das Manövrieren durch die Trümmerregion erweckt nicht wirklich den Eindruck von Weltraumdistanzen. Dafür ermöglicht es einige haarsträubende Stunts (Go, Lorinda, go! Voll die Action-Oma.), die zusammen mit nicht immer nachvollziehbaren Gesinnungswandeln und unerwarteten Comebacks fälschlich Totgeglaubter für Special Effects wie in einem Sommer-Blockbuster sorgen. Dieses Buch macht niemandem vor, mehr als spannend sein zu wollen. Das Versprechen hält es allerdings ein.