Linkedin gibt seine Daten anonymisiert für Forschungszwecke weiter. Karrierewege und Arbeitsmarktbedürfnisse werden sichtbar.

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Die Karriereplattform Linked in ist in den vergangenen Jahren im Windschatten von Facebook zu einem der größten sozialen Netzwerke avanciert. 650 Millionen Mitglieder zählt die Plattform mittlerweile. Man vernetzt sich auf ihr mit ehemaligen Studien- und Geschäftskollegen, teilt Artikel und tauscht sich über Business-News aus. Eine 65-köpfige Redaktion mit Dependancen auf der ganzen Welt kuratiert diese Nachrichten, die mithilfe eines Algorithmus zielgruppengerecht in den Feed eingespeist werden. So wurden beispielsweise automatisiert Meldungen über die Insolvenz des Touristikkonzerns Thomas Cook an alle auf Linkedin registrierten Mitarbeiter verschickt.

Linkedin ist so etwas wie das informelle schwarze Brett des Arbeitsmarktes. Über 165 Millionen Angestellte in den USA haben ein eigenes Linkedin-Profil mit einem mehr oder weniger vollständigen Lebenslauf, mehr als 20.000 US-Unternehmen nutzen die Plattform zur Personalauswahl. Jeden Monat werden allein in den USA drei Millionen Stellenanzeigen veröffentlicht. Aus den aggregierten Daten kann Linkedin mithilfe von Big-Data-Analysen einige Arbeitsmarkttrends ableiten: Wo gibt es offene Stellen? Welche Berufe sind gefragt? In welchen Branchen wird eingestellt?

Detaillierte Infos

Jeden Monat veröffentlicht Linkedin einen "Workforce Report", der sich wie der Bericht einer Arbeitsmarktbehörde liest. Haarklein werden für jede Branche detaillierte ökonomische Variablen aufgelistet. Etwa wie sich die Einstellungsquote entwickelt hat oder in welchen Regionen die Saisonarbeit zurückgegangen ist. Auch der Fachkräftemangel wird auf einzelne Regionen heruntergebrochen.

Darüber hinaus werden die Wanderbewegungen zwischen einzelnen Städten dargestellt. Die US-Stadt Wichita in Kansas etwa hat ausweislich der Linked in-Daten im September besonders viele Arbeiter verloren: Von 10.000 Linkedin-Mitgliedern haben 253 die Stadt in den vergangenen zwölf Monaten verlassen. Austin, die Hauptstadt von Texas, verzeichnete laut dem November-Bericht dagegen die größten Zuwächse unter Linkedin-Mitgliedern. Natürlich sind die Daten nicht repräsentativ. Doch solche Entwicklungen können ein Indikator für die Verschlechterung der Standortfaktoren sowie der Konjunkturlage insgesamt sein.

Aufgrund der hochauflösenden Daten, die Linkedin zur Verfügung stehen und die Datenwissenschafter in ihre Modelle einspeisen, weiß die Plattform vermutlich mehr als Statistikämter. Vor allem – und das unterscheidet Linkedin von Behörden – ist die Datenerhebung viel dynamischer. Die Mitglieder aktualisieren regelmäßig ihren Lebenslauf – und betreiben damit eine Art Zensus. Wenn etwa aufgrund von Wohnort- und/oder Jobwechseln Stellen in Branchen frei werden, wirkt sich das sofort und nicht erst zeitversetzt auf die Bezugsgrößen aus. Linkedin gleicht einer laufend aktualisierten Arbeitsmarktstudie.

Großes Interesse

Es verwundert daher nicht, dass sich auch Wissenschafter für die Daten interessieren. Im Gegensatz zu Facebook, das bei der wissenschaftlichen Nutzung seiner Daten sehr restriktiv verfährt, hat Linkedin im vergangenen Jahr seinen Datenschatz für Forscher geöffnet. Wissenschafter erhalten für ausgewählte Projekte Zugang zu anonymisierten Daten. Es gibt eine ganze Reihe von Forschungsprojekten mit Linkedin-Daten: Wissenschafter der Rockhurst University in Kansas City haben anhand von Linkedin-Profilen zum Beispiel die Karrierewege von Führungskräften in Non -Profit-Organisationen untersucht. Und die Karriereplattform hat sich unlängst mit der Weltbank zusammengetan, um die Arbeitsmarktbedürfnisse in Entwicklungsländern abzuschätzen.

Es gibt auch andere Datenquellen, um mit Analytics-Systemen Entwicklungen am Arbeitsmarkt vorherzusagen. Der finnische Ökonom Joonas Tuhkuri stellte fest, dass sich mit Google-Suchdaten die Arbeits losigkeit in Finnland relativ genau vorhersagen ließ. In seiner Studie glich er von 2004 bis 2014 in Google Trends gespiegelte Suchanfragen, die mit Arbeitslosigkeit in Verbindung stehen (zum Beispiel "Arbeitslosenunterstützung"), mit den offiziellen Daten des Statistikamts ab.

Das Ergebnis: Als die Arbeits losigkeit in Finnland stieg, regis trierte auch Google einen Anstieg entsprechender Suchanfragen. Die jeweiligen Spitzen waren nur minimal zeitversetzt. Die Suchmaschine ist eine Art Konjunkturbarometer. Google-Chefökonom Val Harian sagte bereits 2009, dass Statistiker der "sexyeste Beruf" der nächsten Jahre sein werde. Er könnte recht behalten.