Sabina Sabolovic, Nataša Ilic und Ivet Curlin (v. li.) sind die drei Neuen von der Kunsthalle Wien. Gemeinsam mit Ana Devic stecken sie hinter dem Kollektiv WHW, kurz für What, How and for Whom.

Foto: Damir Zizic

Erst im März werden sie ihre erste eigene Ausstellung präsentieren. Als Einstimmung holen Ivet Curlin, Nataša Ilic und Sabina Sabolovic diesen Sonntag aber schon einmal drei Performances der Chilenin Sylvia Palacios Whitman nach Wien. Die drei kroatischen Kunstmanagerinnen firmieren (gemeinsam mit Ana Devic) unter dem Namen WHW und haben im Juni die Kunsthalle Wien übernommen.

STANDARD: Beinahe alle Wiener Museen zeigen mittlerweile auch zeitgenössische Kunst. Warum braucht es noch eine Kunsthalle?

WHW: Es geht bei einer Kunsthalle nicht nur um die Präsentation, sondern auch um die Produktion von Kunst und von Diskurs. Es geht um die Verhandlung der Frage, was zeitgenössische Kunst heute ist und mit welchem Blick wir darauf schauen. Und das Ganze wird öffentlich finanziert.

STANDARD: Letzteres ist in diesem Land bei fast allen Kunstinstitutionen der Fall.

WHW: International ist das aber nicht mehr selbstverständlich. Nach 2008 griffen viele Länder schmerzhaft in ihre Kunstförderungen ein. Vor allem Kunsthallen, also Häuser, die keine eigene Sammlung haben, die nicht tausende Besucher anziehen und nicht dazu da sind, eine spezifische Tradition zu bewahren, waren davon betroffen.

STANDARD: Das trifft auf die Kunsthalle Wien nicht zu. Sie fristete in den vergangenen Jahren dennoch meist ein Dasein abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Wie wollen Sie das ändern?

WHW: Wir haben eine Art Kunstlaboratorium vor Augen. Künstlerische Produktion und Forschung soll auf Wien und seine Menschen treffen. Was macht diese Stadt aus? Worüber diskutiert sie? Was bringt sie weiter? Unser Programm richtet sich an Wien und nimmt das Hier und Jetzt auf.

STANDARD: Die Kunsthalle ließ dielokalen Künstler in den vergangenen Jahren links liegen ...

WHW: Einerseits ist es die Verantwortung einer öffentlichen Institution der Stadt, Beziehungen aufzubauen – zu Künstlern und zu Institutionen. Andererseits geht es um die Frage, wie wir jene Menschen erreichen, die ähnliche Anliegen haben wie wir, sich aber nicht unbedingt für Kunst interessieren? Wir wollen ein Programm machen, das sich auch an jene außerhalb der Kunstblase richtet.

STANDARD: Im Fall sperriger Gegenwartskunst scheint das besonders schwierig.

WHW: Es stimmt, die Sprache der Gegenwartskunst ist oft abgehoben. Kunst muss nicht unbedingt zugänglich sein, aber wir als Mediatoren müssen den Menschen helfen, einen Zugang zu finden.

STANDARD: Das hat bei der Kunsthalle Wien kaum funktioniert. Im vergangenen Jahr besuchten sie nur 70.000 Menschen, die Hälfte, ohne dafür zu bezahlen. Das ist beschämend wenig.

WHW: Die Gratiseintritte liegen im internationalen Durchschnitt. Auch andere vergleichbare Häuser haben nicht mehr Besucher. Aber klar: Wir wollen kein leeres Haus führen. Wichtig ist für uns, dass wir neue Besucher erreichen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben die Künstlerin Hana Miletiæ für unsere erste Ausstellung im März eingeladen. Sie wird eine Reihe von Filzworkshops geben. Die Frauen, die sie anspricht, sind häufig Migrantinnen, die vom Land kommen. Sie sollen ihr Wissen anschließend weitergeben. Das Kunstwerk der Künstlerin in der Ausstellung ist nur ein kleiner Teil ihrer Arbeit. Mindestens genauso wichtig ist die Arbeit, die im Hintergrund abläuft und die neue Leute anspricht – und diese vielleicht auch in die Kunsthalle bringt.

STANDARD: Sie haben ein Budget von über vier Millionen Euro und 35 Mitarbeiter. Dennoch gehen nur 1,2 Millionen in die Kunst. Zusätzlich wurden aus einem Leiter drei, auch das kostet. Wie lässt sich der aufgeblähte Apparat rechtfertigen?

WHW: Die Summe, die wir für Kunst zur Verfügung haben, hat sich keineswegs verringert. Wir arbeiten mit weniger fixen Kuratoren, haben Änderungen in der Dramaturgieabteilung gemacht. Dass weniger als ein Drittel des Budgets direkt in die Kunst fließt, ist auch bei anderen Institutionen so. Unser Anliegen ist, Künstler überall in unsere Arbeit zu involvieren, vom Grafikdesign bis zum Marketing. Auch so fließt mehr Geld zu den Künstlern. Abseits davon wollen wir einen Weg finden, wie man die Kunsthalle den lokalen Künstlern als Ressource zur Verfügung stellen kann.

STANDARD: Was ist das Spezielle an der hiesigen Kunstszene?

WHW: Diese Stadt hat dem Neoliberalismus Einhalt geboten. Es gibt Orte wie zum Beispiel die vielen Off-Spaces, wo sich ganz unterschiedliche Menschen treffen. Es gibt eine Freiheit vom Markt, Galerien vertreten nicht nur kommerzielle Interessen. Das intellektuelle Niveau der Künstler ist hoch, die Kunstakademien spielen eine wichtige Rolle.

STANDARD: Die Kunsthalle hat einarchitektonisches Problem, die Eingangssituation ist verwirrend. Gibt es Pläne, das zu ändern oder ganz auszuziehen?

WHW: Das ist eine schwierige Frage. Wir möchten auf jeden Fall räumliche Lösungen finden, die die Inhalte der Ausstellungen unmittelbar lesbar machen.

STANDARD: An der Eingangssituation ließe sich relativ unaufwendig etwas ändern.

WHW: Wir entwickeln mit dem Künstler Tim Etchells eine Arbeit, die hoffentlich den Eingang im Museumsquartier strahlen lassen wird. Es gibt auch architektonische Ideen, zum Beispiel für den Eingangsbereich der Kunsthalle am Karlsplatz, die sich derzeit als Restaurant mit einer Ausstellungshalle im Hinterzimmer präsentiert.

STANDARD: Bevor Sie Ihre erste eigene Ausstellung im März präsentieren, starten Sie diesen Sonntag mit Performances von Sylvia Palacios Whitman im Kasino des Burgtheaters. Nachdem jeder Anfang auch symbolisch interpretiert wird: Warum starten Sie nicht mit einer lokalen Position?

WHW: Wen immer wir ausgewählt hätten, er oder sie hätte den Ballast des Neubeginns schultern müssen. Aber keine Angst: An unserer ersten Ausstellung werden viele lokale Künstler beteiligt sein. Wir hoffen, das Wiener Publikum sieht es als besondere Gelegenheit, Sylvia Palacios Whitman und ihre einzigartige poetische Praxis live zu sehen, etwas, das sie nur mehr selten macht. (Stephan Hilpold, 15.11.2019)