Technologische Entwicklungen und Studien an Astronauten haben in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Impulse für die Medizin gegeben, von denen längst nicht nur Raumfahrer profitieren. Innovationen aus der Raumfahrt reichen von Materialien, die als künstliche Gelenke eingesetzt werden können, über die Verbesserung diagnostischer Verfahren bis hin zu präziseren Methoden der Tumorbestrahlung. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Nasa-Astronautin Sunita Williams beim Training auf der Internationalen Raumstation (ISS).
Foto: Nasa

Wissenschafter aus den USA lassen nun mit einer neuen Idee aufhorchen: Sie empfehlen, das umfangreiche Trainingsprogramm für Astronauten der US-Weltraumbehörde Nasa in die Behandlung von Krebspatienten einfließen zu lassen. Wie das Team um Jessica Scott vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York im Fachblatt Cell berichtet, gibt es verblüffende Parallelen zwischen Raumfahrern und Patienten, die mittels Chemotherapien, Bestrahlungen oder Immuntherapien behandelt werden.

„Wir waren überrascht, wie ähnlich der physiologische Stress von Astronauten und Krebspatienten ist“, sagte Scott. „Beide Gruppen erleiden zum Beispiel Rückgänge der Muskelmasse und der Knochendichte, Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems und manchmal sogar von Gehirnfunktionen: Konzentrationsfähigkeit und Erinnerungsvermögen können vorübergehend beeinträchtigt sein.“ Die Betroffenen sind erhöhten Strahlendosen oder zellschädigenden Wirkstoffen ausgesetzt, erleiden Gewichtsveränderungen und Appetitstörungen und büßen insgesamt körperliche Fitness ein.

Nützlicher Referenzwert

Trotz ähnlicher Risikofaktoren seien die Gegenmaßnahmen aber oft grundverschieden, so Scott: Während Raumfahrer einem speziellen Trainingsprogramm zur Minimierung gesundheitlicher Risiken folgen, das bereits lange vor der Reise ins All beginnt und deutlich über das Missionsende hinausgeht, würden Krebspatienten häufig den Rat bekommen, sich möglichst zu schonen und Anstrengungen zu vermeiden. Dabei könnte man auf jahrzehntelange Erfahrungen und erfolgreiche Konzepte der Nasa zurückgreifen, schreiben die Forscher.

Astronauten müssen heute bereits Monate vor einer Mission regelmäßig körperlich trainieren und werden dabei umfangreichen Tests unterzogen. Auf diese Weise werden die persönliche Grundkonstitution und die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems eruiert, die es nach der Rückkehr zur Erde wiederzuerlangen gilt. Während des Aufenthalts im All sind tägliche Trainingseinheiten vorgesehen, um dem Verfall entgegenzuwirken. Die Vorgabe ist, die Kondition auf mindestens 75 Prozent des Levels vor dem Abflug zu halten. Zurück auf der Erde, wird das Training so lange fortgesetzt, bis die früheren Normalwerte wieder erreicht sind.

Karen Nyberg bei einem Workout in der Mikrogravitation.
Foto: Nasa/Nyberg

Dem Verfall vorbeugen

Akute gesundheitliche Risiken und Langzeitfolgen können so stark reduziert werden: Hatten Raumfahrer in den 1960er-Jahren schon nach wenigen Tagen im All mit körperlichen Problemen zu kämpfen, sind heute Missionen mit einem Jahr Dauer machbar. Den Forschern zufolge könnte nach diesem Prinzip auch den negativen Effekten von Krebstherapien entgegengewirkt werden.

„Viele Patienten sterben heute nicht mehr am Krebs, leiden aber unter den Langzeitfolgen der Behandlung“, heißt es in dem Bericht. Die Autoren regen an, von Betroffenen vor Behandlungsbeginn ein Fitness-Profil zu erstellen, das während und nach der Therapie als Referenz dient. Nach ärztlicher Rücksprache könnten Patienten dann regelmäßig zu Hause trainieren, etwa durch Gehen auf einem Laufband. Neue, noch wenig erprobte Krebstherapien würden die Notwendigkeit erhöhen, auf den Allgemeinzustand der Patienten zu achten, so Scott. (David Rennert, 15.11.2019)