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Priscillia Ludosky, Gelbwesten-Pionierin aus der Pariser Peripherie

Foto: AP/Michel Euler

Früher arbeitete sie bei einer Bank, heute vertreibt sie als Einfrauunternehmerin Biokosmetika: Priscillia Ludosky, 33 Jahre alt, wohnhaft in Savigny-le-Temple, einer gesichtslosen Vorstadt im Südosten von Paris, hätte nie gedacht, eines Tages eine Volksmasse mit gereckter Faust aufzupeitschen.

Das war am 15. Dezember 2018, auf dem Vorplatz der Pariser Oper. Vor tausenden aufgebrachter Demonstranten in gelben Westen ergriff die Frau mit den Dreadlocks das Mikrofon. „Wir sind wütend!“, begann sie mit sicherer Stimme, als habe sie das schon immer gemacht. „Seit 40 Jahren speisen uns die wechselnden Präsidenten mit Verrat und Lügen ab! Wir, die Gesamtheit des französischen Volkes, müssen 46 Prozent unseres Einkommens an Steuern und Abgaben abliefern! Ein Drittel des Bruttosozialprodukts fließt in die Sozialhilfe! Und trotzdem kommen Krankenschwestern und Soldaten, Behinderte und Lehrer nicht auf ein menschenwürdiges Auskommen!“

Und schon reichte Ludosky das Mikro weiter. „Unsere Bewegung gehört niemandem, sie gehört allen“, sagte sie zur Begründung und erntete damit Applaus und Zurufe: „Ja, niemandem!“

Kein Sprecher, kein Anführer

Nun wechselten sich die folgenden Redner ab, zum Zeichen, dass die Gelbwesten keinen Sprecher wollten – und schon gar nicht einen Anführer.

Doch in Erinnerung blieb vor allem die junge Frau, die den Reigen eröffnet hatte. Ludosky wurde zu einem „Gesicht“ der GelbwestenBewegung. In TV-Talkshows erzählte sie ruhig und bestimmt vom bescheidenen Leben an der Peripherie und auf dem Land; vom leeren Portemonnaie am Monatsende; von den Ängsten und der Verzweiflung jener Franzosen, die zwar einen Job haben, sich aber keinen Restaurantbesuch und keine Brille mehr leisten können.

Auch deshalb hatte Ludosky von sich auch eine Internetpetition gestartet, als Präsident Emmanuel Macron die Benzinabgabe erhöhen wollte und dies als Ökosteuer deklarierte, obwohl das Geld in die allgemeine Staatskasse fließen sollte. Über eine Million Unterschriften brachte sie in kurzer Zeit zusammen. Es war der Startschuss für eine Bewegung der kleinen, vergessenen Bürger, die den mächtigen Staatschef bald in die Knie zwangen: Macron musste nicht nur die Abgabe zurücknehmen, sondern insgesamt 15 Milliarden Euro zusätzlich an Staatshilfen lockermachen.

Minister und Häppchen

Kurz darauf wurde Ludosky mit ihrem militanten Mitstreiter Éric Drouet in das Umweltministerium eingeladen. Fotos zeigen die beiden mit ernsten Mienen, umgeben von drei lächelnden Ministern.

Heute muss die von der französischen Karibikinsel Martinique stammende Frau selber darüber schmunzeln: „Die Petits Fours auf dem Tisch vor uns waren einfach zu gut für mich“, erzählt sie dem STANDARD, „ich stehe ganz einfach auf Feingebäck!“

Vereinnahmen lässt sich Ludosky aber mitnichten – von keiner Seite. Die Linkspartei Unbeugsames Frankreich umwarb sie heftig, aber erfolglos. „Die Gelbwesten dürfen keine Partei- oder Wahlpolitik machen, das wäre ihr Ende“, meint die Frau. Ihre Bemerkung zielt auf andere Ur-Gelbwesten wie Jacline Mouraud und Ingrid Levavasseur ab: Sie haben sich von der Bewegung abgewendet und wollen bei den kommenden Gemeindewahlen in Frankreich antreten.

Ludosky aber bleibt. „Ich bin hartnäckig“, lacht die Nachfahrin von Sklaven, die ihren polnischen Nachnamen selbst nicht zu erklären vermag. „Wir machen weiter, solange wir müssen – das heißt, solange wir nicht erreicht haben, wofür wir kämpfen.“ Und das wäre? „Mehr Kaufkraft, mehr direkte Demokratie und mehr öffentlicher Verkehr auf dem Land. Die verarmten Landbewohner sind auf das Auto angewiesen und zahlen gut 60 Prozent Steuern auf ihr Benzin – während Kerosin für Flugzeuge kaum besteuert wird“, führt sie aus. „Wir bekämpfen die steuerliche Ungleichbehandlung generell: Kleinunternehmen zahlen in Frankreich heute 28 Prozent an Steuern, die großen Internetkonzerne wie Google oder Amazon jedoch nicht einmal ein Prozent. Das geht nicht!“

Ludosky beklagt, dass Macron weder sie noch andere Gelbwesten jemals empfangen habe. „Am besten wäre es, wenn der Präsident zurücktreten würde“, meint die junge Frau. Mit ein Grund sei die Polizeigewalt gegen die Demonstranten, von denen bisher 24 durch Gummigeschoße ein Auge verloren hätten.

Geburtstag: 17. November 2018

Auch deshalb sind die Samstagsdemos der Gelbwesten mittlerweile stark ausgedünnt. Selbst in den Bastionen Toulouse, Montpellier und Paris gehen nur noch ein paar Hundert Menschen auf die Straße. Doch am Samstag werden zum ersten Jahrestag mehr Demonstranten erwartet, und die Polizei ist in Alarmbereitschaft.

Doch der Wind hat gedreht: Vor einem Jahr hatte in vielen Landstrichen jeder zweite Autofahrer aus Solidarität eine neongelbe Neonweste am Armaturenbrett drapiert. Heute sind laut einer Umfrage 63 Prozent der Franzosen gegen die – leider oft gewalttätigen – Samstagsproteste.

Wie geht’s weiter? Ludosky will irgendwo zwischen Straßenprotest und Partei eine „Bürgerlobby“ aufbauen, wie sie sagt. Am Freitag ist das erste Treffen. „Ich glaube an die Zukunft unserer Bewegung, weil es den Leuten an den Stadträndern und auf dem Land weiter schlecht geht, während die Eliten absahnen.“ Das sei überall so, fügt sie hinzu – in Frankreich, wo sich Streiks häufen und soziale Unruhen gefährlich ansteigen, aber auch in anderen Ländern.

Die „gilets jaunes“ hätten offenbar auch den Protesten in Hongkong Modell gestanden, hörte Ludosky von einem chinesischen Besucher. Auch die Demos im Libanon, in Bolivien, Chile und Algerien machten klar: „Die Lage kocht überall hoch“, beobachtet die junge Frau, die mit ihrer Petition gegen eine Benzinsteuer das alles losgetreten haben könnte. (Stefan Brändle aus Paris, 17.11.2019)