Wo einst Stacheldraht war, fahren heute Rettungsfahrzeuge ungehindert über die Grenze. Man darf sich wundern, was alles möglich wurde.

Foto: Heribert Corn

Freie Fahrt für Einsatzkräfte: In Fahrschulen gehört das zum ganz kleinen Einmaleins des Lehrstoffs. In der Praxis aber kann es dabei rechtliche Hürden geben – und zwar dann, wenn eine Staatsgrenze im Weg ist.

So war das bis vor wenigen Jahren auch im niederösterreichischen Gmünd. Die 5000-Einwohner-Stadt liegt im nördlichen Waldviertel, direkt an der Grenze zu Tschechien – und damit direkt am ehemaligen Eisernen Vorhang, jener schwerbewachten Grenze, die bis 1989 die kommunistischen Diktaturen Osteuropas vom demokratischen Westen trennte.

Jenseits des Flusses Lainsitz schließt die südböhmische Stadt České Velenice mit etwa 3500 Einwohnern an. Während Bürgerinnen und Bürger beider Seiten längst die Schengener Reisefreiheit genossen und ohne Kontrollen ins jeweils andere Land fahren konnten, war ausgerechnet für Rettungsfahrzeuge am Grenzübergang lange Zeit Endstation.

„Es gab in diesem Bereich einfach sehr viele offene Fragen“, erklärt Manfred Mayer, Manager des derzeit entstehenden internationalen Gesundheitszentrums Gmünd, im Gespräch mit dem STANDARD. Wenn sich etwa der Klang des Folgetonhorns und die mit ihm verbundenen Vorschriften in zwei Staaten unterscheiden, wären nach Unfällen auf der anderen Seite der Grenze komplizierte Haftungsfragen zu klären.

Sanitäter als Drogendealer?

„Auch die Mitnahme von Medikamenten, vor allem von Analgetika, war ein Problem“, so Mayer. „Sanitäter wären zwar vermutlich nicht gleich als Drogendealer verhaftet worden, aber rechtliche Bedenken gab es allemal.“ Daher hätten Kranke oder Verletzte früher am Grenzübergang an die Kollegen des Nachbarlandes übergeben werden müssen – bei Notfällen ein Zeitverlust, der Menschenleben kosten kann.

Erst 2016 brachte ein zwischenstaatlicher Vertrag Rechtssicherheit für Rettungskräfte. Gmünd und České Velenice waren daran maßgeblich beteiligt. Grund: Das Landesklinikum Gmünd ist nur 600 Meter von der Grenze entfernt. Auf tschechischer Seite hingegen befindet sich das nächste Spital knapp 60 Kilometer im Landesinneren, im südböhmischen Budweis. „Das tschechische Gesundheitssystem ist sehr gut, das ist nicht das Thema“, betont Mayer. „Das Problem besteht einfach in der großen Distanz.“

Das gilt natürlich nicht nur für Österreicherinnen und Österreicher, die auf einen Kaffee oder zum Einkaufen nach České Velenice fahren und dort einen Unfall haben, sondern auch für Patientinnen und Patienten aus Tschechien. Genau deshalb gingen beide Seiten bald den nächsten Schritt: Im Rahmen der Initiative Healthacross, in der das Land Niederösterreich alle grenzüberschreitenden Gesundheitsprojekte gemeinsam mit den Partnerregionen koordiniert, gelang es, tschechischen Versicherungsschutz auf Behandlungen im Klinikum Gmünd auszudehnen.

Ärzteteams aus beiden Ländern

Dieses Jahr im Mai schließlich folgte der Spatenstich für das bisher prestigeträchtigste Vorhaben – ein internationales Gesundheitszentrum direkt an der Grenze. Die Stadt Gmünd stellte das Grundstück zur Verfügung, finanziert wird die Klinik unter anderem aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Ab 2021 sollen dort Patienten aus der Grenzregion stationär und ambulant behandelt werden – von Ärzteteams aus Österreich und Tschechien, versteht sich.

Für Manfred Mayer, den Manager des internationalen Gesundheitszentrums Gmünd, ist die Entwicklung selbstverständlicher, als es etwa im fernen Wien scheinen mag: „Es gibt hier ja bereits seit Jahren ein reges Miteinander, über persönliche Kontakte, Jobs und Schulen.“ Die Behandlung von Kranken sei dennoch ein besonderer Bereich: „Die Menschen vertrauen sich buchstäblich jemandem an – in einem anderen Land, in einer anderen Sprache“, so Mayer. „Das zeigt, wie groß die Vertrauensbasis geworden ist.“

Gut für die Fachausbildung

Das Problem, dass der schnellste Weg ins Krankenhaus über die Staatsgrenze führt, gibt es übrigens auch in umgekehrter Richtung: „Österreicher aus dem Grenzgebiet sind meist schneller in Znaim als in einem österreichischen Spital“, sagt der tschechische Gynäkologe Radek Chvátal dem STANDARD. Er ist federführend bei einem Projekt, das ohne eigenes Haus auskommt – ohne „Hardware“, wie er sagt. Chvátal spricht von einer „virtuellen Zusammenlegung“ von Abteilungen der Krankenhäuser im südmährischen Znaim und im niederösterreichischen Melk. Begonnen wurde mit der Gynäkologie, konkret mit dem Betrieb eines gemeinsamen Zentrums zur Behandlung der Endometriose. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, bei der Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle wächst und dort Beschwerden verursacht.

Von der Zusammenarbeit würden nicht nur die Patientinnen profitieren, sondern auch die Qualität der Fachausbildung: „Im OP-Kalender eines einzelnen Spitals ist es oft schwer, die erforderliche Anzahl an Operationen zu finden.“ Dieses Problem wird kleiner, wenn Ärztinnen und Ärzte an beiden Häusern praktizieren. Voraussetzung: Diagnosen oder OP-Berichte müssen exakt gleich formalisiert sein.

Kooperation bei Strahlentherapie

Der zweite Meilenstein in der Integration beider Kliniken war die Zusammenarbeit in der Strahlentherapie für Krebspatienten. Auch hier geht es um die bessere Nutzung von Kapazitäten. „Die technische Ausrüstung ist auf beiden Seiten gleich“, so Chvátal. Die Menschen werden mit der österreichischen Rettung zur Bestrahlung nach Znaim und danach wieder nach Hause gebracht – über eine Grenze, an der es noch vor 30 Jahren nichts gab außer Wachtürmen und Stacheldraht. (Gerald Schubert 15.11.2019)