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La Graciosa ist mit rund 700 Einheimischen die kleinste bewohnte Insel der Kanaren.

Foto: Getty Images /Eloi_Omella

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Entdeckt wurde die "Anmutige" schon 1402 von dem normannischen Seefahrer Jean de Béthencourt, offiziell anerkannt ist sie erst seit 2018.

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La Graciosa ist flach, leer und still. Seit elf Millionen Jahren ruht das kleine Eiland im Südatlantik, direkt neben der 600 Meter hohen Steilküste von Lanzarote. Nur ein Kilometer trennt die beiden kanarischen Inseln an der engsten Stelle. Der ewige Wind hat La Graciosa stark erodiert. 266 Meter misst die höchste Erhebung. Die graubraunen, kargen Hügel wirken wie schlafende Elefanten, umkreist von Seevögeln, bewachsen von Dornensträuchern. Die flachen Küsten sind gesäumt von hellem, feinen Sand, von groben, dunklen Lavabrocken oder niedrigen Felsen.

Zwei Ortschaften hat die Insel: Den Hafenort Caleta de Sebo, wo kleine weiße Häuser in mehreren Reihen an der Küste stehen, mit Bars, einem Postamt, einer Fischhalle und einer Apotheke. Im Inselnorden liegt die kleine Feriensiedlung Pedro Barba, wo man die Einsamkeit in vollen Zügen genießen kann: Es gibt nur hübsche, niedrige Häuser mit Kakteengärten und eine ummauerte, geschützte Badebucht.

So übersichtlich die Insel ist, so chaotisch sind die Zustände. Denn als die Kanaren 1982 ihren ersten Autonomiestatut verfassten, haben sie La Graciosa vergessen. In dem Regelwerk ist nur die Rede von den sieben bewohnten Inseln Teneriffa, Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote, La Palma, La Gomera und El Hierro, sowie von unbewohnten Inseln, zu denen stillschweigend La Graciosa gezählt wurde. Dabei leben dort Menschen, es sind fast 700. Bis vor einem Jahr fühlten sie sich übergangen.

Behördengang übers Meer

Der einzige ständig bewohnte Ort Caleta de Sebo gehört zur Gemeinde Teguise, im Inselinneren der Nachbarinsel Lanzarote. Das Meer liegt dazwischen und die Behördengänge sind hier besonders lang. Fünf Jahre lang haben die Insulaner für mehr Eigenverwaltung und Aufmerksamkeit gekämpft. "Es war eine kleine Revolution", sagt Miguel Páez, der Initiator, "wir wussten ja nicht, wie es ausgehen würde."

Im November 2018 konnten die Bewohner einen ersten, wichtigen Erfolg feiern. Damals wurde der Autonomiestatut geändert. Jetzt ist die Insel namentlich erwähnt. Das bedeutet eine Menge, denn wo Menschen leben, gibt es Bedürfnisse zu befriedigen und Probleme zu lösen: Grundversorgung, Wohnraum, Müllwirtschaft, Umweltschutz, Sicherheit – all das haben die Gracioseros bislang unter sich gelöst, mehr oder weniger legal. Oft wussten sie gar nicht, was verboten und was erlaubt war.

Ein Kämpfer

Miguel Páez erzählt die Geschichte vom Aufstand der Insulaner in seinem kleinen Geschäft mitten im Ort. Er verkauft Souvenirs, verleiht Fahrräder und setzt sich für die nur 29 Quadratkilometer große Insel ein. Er streut Nachrichten aus La Graciosa in den sozialen Netzwerken, organisiert Treffen mit Entscheidungsträgern, hat die Unterschriftensammlung zur Anerkennung als bewohnte Insel begonnen. "Wir haben ein Recht auf Infrastruktur, Investitionen, Mitsprache und Regulierung der ganzen Situation hier", sagt er mit kräftiger Stimme. Páez ist Schauspieler und Sozialarbeiter und er ist ein Kämpfer.

11.000 Unterschriften haben er und andere zusammengetragen, zuhause und auf den übrigen Inseln. "Jetzt tauchen wir wenigstens schon mal im Wetterbericht auf," sagt er grinsend. Die Erwähnung im Regelwerk der Kanaren sei auch eine Anerkennung, sagt der 46-Jährige, für die Mühen der Vorfahren. "Es war ein emotionales, pragmatisches und politisches Anliegen", meint Páez.

Ein Jahr nach dem Erfolg gibt es erste Resultate: Die Regionalregierung hat einen Ombudsmann auf die Insel geschickt, der einen direkten Draht herstellen soll. Die Bewohner haben beantragt, als Ortsteil von Teguise anerkannt werden, mit eigenem Budget und Ortsvorsteher. Und sie wollen ein Polizeikommissariat, denn die Zeiten, in denen man hier bei offener Haustür schlafen konnte, sind vorbei.

Viele neue Besucher

Auch das Auto-Problem gilt es zu lösen. 300 Geländewagen fahren auf der kleinen Insel herum, dabei gibt es keine Asphaltstraßen, Tankstellen oder Werkstätten. Überhaupt wollen die Bewohner endlich klären, wie sie mit ihrer Insel umzugehen haben: La Graciosa ist Naturpark, hat ein Meeresschutzreservat, ist Biosphärenreservat und Vogelschutzgebiet. Zugleich hat die Aufruhr um den Status als achte Insel aber viele Touristen und auswärtige Saisonarbeiter gebracht.

Die Anerkennung als bewohnte Insel soll es nun erleichtern, das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu halten. Erst seit 140 Jahren ist La Graciosa bewohnt, Fischer aus Lanzarote sind damals ausgewandert. Selbst die Guanches, die kanarischen Ureinwohner, haben sich hier nie niedergelassen. Es gibt keine Süßwasserquellen. Heute kommt das Wasser in der Leitung aus der Meerwasserentsalzungsanlage auf Lanzarote und der Strom über ein dickes Kabel von der Nachbarinsel – so wie fast alles, was die Insulaner zum Leben brauchen. Die Insel bietet ihnen dafür Schönheit, Stille und Persönlichkeit.

Genau das suchen auch ihre Besucher. Unter ihnen sind viele Bewohner der Nachbarinseln. So wie die Freundesgruppe aus Gran Canaria, die an diesem Herbsttag in Caleta de Sebo von Bord geht. Die Männer haben Angeln dabei und wollen sich von der stressigen Sommersaison erholen. "Die Stille von La Graciosa ist einmalig", sagt einer der Männer namens Ramón, "sowas findet man bei uns nicht mehr." (Brigitte Kramer, 17.11.2019)