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Gemeindebau-Vergleich mit fast einem Jahrhundert Abstand: Karl-Seitz-Hof in Floridsdorf von Hubert Gessner (1932)

Foto: Harald Jahn / picturedesk.com

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Pölzer-Hof in Favoriten von Hugo Mayer (1927)

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Barbara-Prammer-Hof in Oberlaa von NMPB Architekten, der vor einer Woche an seiner Bewohner übergeben wurde.

Foto: Robert Newald

Eine Wohnung im zweiten Stock, durch das Küchenfenster am Laubengang dringen Licht und Bohrmaschinengeräusche nach außen. „Ein Reporter also? Das heißt, ich komme in die Zeitung? Na dann kommen Sie herein und machen Sie es sich bequem!“ Željka Mašin, gebürtige Kroatin, ist vor einer Woche eingezogen. Ihr Handwerker, ein Kollege ihres Sohnes, montiert gerade die Oberschränke in der Küche. „Das Haus gefällt mir super“, sagt die 63-jährige Reinigungskraft, „es ist ruhig und so hellblau angemalt, da kann man schlafen wie ein Baby. Vor allem aber ist die Miete billig. Ich zahle 265 Euro für 35 Quadratmeter. Das ist echt okay.“

Mašin ist eine der ersten Bewohnerinnen, die nach 15 Jahren kommunaler Bautätigkeitspause in Wien letzte Woche wieder einen Schlüssel in eine neu errichtete Gemeindewohnung in die Hand gedrückt bekommen hat. Ihre Adresse: Fontanastraße 3, ein paar Gehminuten von der U1-Endstation Oberlaa entfernt. Wie bei den meisten Gemeindebauten des Roten Wien handelt es sich auch hier nicht bloß um ein Wohnhaus, sondern um einen Hof, der nach einer österreichischen Persönlichkeit benannt ist, in diesem Fall nach der 2014 verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer. Und wie schon damals prangen große rote Lettern über dem Eingang.

Ankündigung 2015

Der erste Gemeindebau in der Geschichte Wiens, der Metzleinstaler Hof in Margareten, wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg 1923 von Robert Kalesa und Hubert Gessner fertiggestellt. Der letzte Gemeindebau wurde 2004 in Liesing an seine Mieter übergeben. Von da an deckte die Stadt Wien ihren Bedarf an leistbaren Wohnungen für die breite Masse über die gemeinnützigen Bauträger ab. 2015 kündigte der damalige Bürgermeister Michael Häupl an, den Gemeindebau wieder zum Leben erwecken zu wollen. Die Gemeindewohnungen sind als Ergänzung zu den geförderten Bauträgerwohnungen gedacht – mit dem Unterschied jedoch, dass die Wohnungen im Eigentum der Stadt verbleiben und dass sich die Mieter dadurch den Eigenmittelanteil sparen, der bei manchen Bauträgerprojekten je nach Lage und Wohnungsgröße mitunter auf bis zu 40.000 Euro hochklettern kann.

„So viel? Ich glaube, das hätten wir uns nicht leisten können“, sagt eine Frau, die mit Mann und Tochter im dritten Stock wohnt und aus beruflichen Gründen anonym bleiben möchte. „Wir haben uns schon vor langer Zeit bei Wiener Wohnen um eine geförderte Wohnung beworben. Aufgrund unseres Haushaltseinkommens haben wir ganz gut ins Schema für den Gemeindebau gepasst. Wir zahlen knapp 620 Euro für 83 Quadratmeter. Die Wohnung ist extrem hell, und wir haben sogar eine Loggia und Terrasse.“ Aus ihrem Wohnzimmer blickt man in einen der drei Innenhöfe, um die herum die Anlage mit ihren insgesamt 120 Wohnungen gruppiert ist.

Wie viel Gemeinde im Bau?

„Mit circa 1350 Euro Baukosten pro Quadratmeter haben wir hier am denkbar untersten Budgetlimit gebaut“, sagt Saša Bradiæ, Partner im Wiener Büro NMPB Architekten. „Mehr als eine konventionelle Bauweise mit Stahlbeton, Wärmedämmung und Putzfassade ist da nicht drin. Das architektonische Spiel beschränkt sich auf das Himmelblau und auf ein paar Gestaltungsmittel wie etwa Fensterfaschen und schlossermäßige Balkongeländer.“ Nichts von alledem ist von umwerfender architektonischer Raffinesse, aber es zeugt von einer sozialen Sensibilität, dass NMPB die Energie nicht in technische Leitdetails hineinbutterte, sondern auf ein paar schöne Ideen wie etwa das gläserne Foyer und die drei Innenhöfe mit Parkbänken und Hochbeeten konzentrierte. Das Freiraumkonzept dafür stammt vom Wiener Landschaftsplanungsbüro PlanSinn.

Für zwei Kunst-am-Bau-Projekte hat das Geld noch gereicht. Ingeborg Kumpfmüller steuerte eine baulich billige, aber visuell wirksame Arbeit bei, indem sie die Eingangsbereiche verflieste und mit Wortfragmenten aus dem Bereich der sozialen Nachhaltigkeit aufwertete: Erlebnis, Begegnung, Kommunikation, Gemeinschaft und Nachbarschaft. Und der italienische Keramikkünstler Elio Macoritto, ein Wunschkandidat der Stadt Wien, klatschte im Foyer eine feuerrote Hymne an Barbara Prammer von so unterirdischer Qualität an die Wand, dass man anfangen möchte, dem echten Roten Wien nachzuweinen.

Spezielle Klientel

Spätestens an dieser Stelle fragt man sich, während man an den Karl-Marx-Hof, an den Reumannhof, an den Sandleitenhof und an all die anderen expressionistischen Glanzlichter der Zwanziger- und Dreißigerjahre denkt, wie viel Gemeindebau im neuen Gemeindebau wirklich drinsteckt. „Ich sehe im Gemeindebau neu einen weiteren Mosaikstein am Wohnungsmarkt, der sich nicht maßgeblich vom bisherigen geförderten Wohnbau unterscheidet, dafür aber an eine spezielle Klientel gerichtet ist – und zwar unbefristet, kautionsfrei, komplett ohne Eigenmittel, und das alles um monatlich 7,50 brutto pro m2“, sagt Ewald Kirschner, Vorstandsdirektor der Gesiba und Geschäftsführer der neu gegründeten Wigeba, einer 100-prozentigen Tochter von Wiener Wohnen und Wien Holding.

Fazit: Mit der einzigartigen Gemeindebaukultur des vorigen Jahrhunderts teilt der neue Gemeindebau bestenfalls seinen Namen. Und seine roten Buchstaben über dem Portal. Ein Bekenntnis zum sozialen Gesamtkunstwerk wie anno dazumal wird man vergeblich suchen. Doch in Zeiten exorbitant steigender Wohnkosten, in denen sich die Einkommensschwächeren nicht einmal mehr den klassischen geförderten Wohnbau leisten können, ist der Gemeindebau neu immerhin ein Bekenntnis zum wirklich billigen Bauen – ganz okay und ohne jeden themenprogrammatischen Firlefanz. Die jungen Bewohner des Barbara-Prammer-Hofs wissen dieses Angebot zu schätzen. Mehr braucht es auch nicht. (Wojciech Czaja, 17.11.2019)