Keira Knightley als Katharine Gun, die nicht akzeptieren wollte, dass die Politik das Wahlvolk hinterging.Foto: Constantin

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Katharine Gun, sagt Keira Knightley, ist eine Heldin, keine Superheldin. Weil sie zögern darf, Gewissensbisse zeigen kann, wirke sie menschlich. Ähnliches ließe sich auch von Gavin Hoods Film Official Secrets behaupten. Die britische Whistleblowerin wird nicht für einen Actionthriller eingespannt, sondern für ein Spionagedrama der alten Schule, das ein Stück weit auch ein Journalistendrama ist. Gun war für den britischen Geheimdienst GCHQ als Übersetzerin im Dienst, als ihr kurz vor dem Irakkrieg ein streng vertrauliches Memo der NSA in die Hände fiel: Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sollten in geheimen Absprachen für eine Invasion im Irak gewonnen werden. Für die 34-jährige Knightley wird der Part zur Gelegenheit, mit Feingefühl zu demonstrieren, wie sich Prinzipientreue auch gegen ein System wenden kann.

STANDARD: Haben Sie an den damaligen Konflikt, der in England ja viel Widerspruch erregte, persönliche Erinnerungen?

Knightley: Ich war 18 Jahre alt, als wir in den Irak einmarschierten. An den Aufbau des Konflikts kann ich mich gut erinnern, nicht jedoch an die Geschichte von Katharine Gun. Als jemand, der den Aufruhr im Land direkt miterlebt hat, fand ich diese Wissenslücke faszinierend. Ich betrachte Katharine als wichtiges Puzzleteil, das wohl den Grund dafür lieferte, dass die zweite UN-Resolution nicht durchging.

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STANDARD: Das heißt, Sie haben 2003 selbst aktiv mitdemonstriert?

Knightley: Ich nahm an Demonstrationen teil, aber nicht an der ganz großen in London. Der politische Diskurs, die Proteste und vor allem der Umstand, dass es nicht so aussah, als würde das alles etwas ändern, hatte auf meine Generation große Wirkung. Man spürt die Konsequenzen heute noch. De facto war es eine Aberkennung des Wahlrechts, was viele Menschen verspürten, abgesehen von der Frage der Regierungsverantwortlichkeit. In meiner Erinnerung war es das erste Mal, dass ich dachte, wow, das ist einfach nicht wahr. Das daraufhin so wenig geschah, veränderte unsere Sichtweise auf Politiker.

STANDARD: Und man hat nicht den Eindruck, dass gegen den Vertrauensverlust viel unternommen würde, nicht wahr?

Knightley: Die Frage der Verantwortlichkeit ist aktueller denn je. Als Bürger müssen wir uns fragen, welche Konsequenzen wir wollen, wenn jemand die Unwahrheit sagt. Sie haben recht, mittlerweile erlauben sich Politiker, praktisch alles zu sagen – und es bleibt oft ohne Folgen. Das alles ist in Guns Geschichte schon enthalten. Als Zuschauer dieses Films beginnt man, die Welt um einen herum zu hinterfragen.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Sie ziehen Kostümfilme vor, weil sie die interessanteren Frauenfiguren haben. Ist „Official Secrets“ ein „period piece“?

Knightley: Er funktioniert in beide Richtungen, denn 2003 war natürlich eine andere Welt – Handys sahen ganz anders aus, das Internet war noch nicht dasselbe. Wir dachten, dass wir ein „period piece“ machen, zugleich handelt es sich um eine Welt, in der wir uns selbst aufhielten. Ich finde es bezeichnend, dass man diesen Film heute finanzieren kann. Das liegt an einer jüngeren Generation, die politischer denkt. Es gibt mehr Leute, die das Thema interessiert, als vor fünf oder zehn Jahren.

STANDARD: Wie gut konnten Sie sich in Guns Gewissenskonflikt einfühlen? Hatten Sie selbst schon Konflikte mit Autoritäten?

Knightley: Nicht auf einer persönlichen Ebene. Aber jeder kann ihre Desillusionierung nachvollziehen. Jeder kennt den Moment, dass man bestraft wird, obwohl man für etwas gekämpft hat, das man für richtig hielt. In gewisser Weise gehört dies zum Erwachsenwerden dazu. Wenn man realisiert, dass die Welt, die man seinen Kindern vermittelt hat – eine Welt, in der man nicht lügen soll und in der das Gute am Ende triumphiert –, gar nicht existiert. Wir sind alle mit dieser seltsamen Heuchelei aufgewachsen. Ich habe mich einmal für einen Typen eingesetzt, der geschlagen wurde, und am Ende haben alle mich gehasst. Das Problem ist, dass viele Menschen, die diese Erfahrung machen, beim nächsten Mal anders agieren. Und in unserer Gesellschaft werden Leute, die die Wahrheit sagen, gerne zertrampelt. Whistleblower werden rigoros bestraft.

Keira Knightley (34) ist eine britische Schauspielerin, bekannt für dramatische Rollen wie in David Cronenbergs "A Dangerous Method", aber auch die Elizabeth in der "Pirates of the Caribbean"-Reihe.
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STANDARD: Selbst schrecken Sie jedoch kaum davor zurück, Ihre Meinung zu sagen.

Knightley: Der Film ist ja selbst sehr deutlich, da wäre es absurd, so zu tun, als ginge mich das nichts an. Allerdings bin ich durchaus vorsichtig. Würden wir jetzt an einem Dinnertisch mit einem Glas Wein sitzen, dann wäre ich viel mitteilsamer! Ich stehe lange genug in der Öffentlichkeit, um zu wissen, dass ich nicht alles sagen kann, ohne dass mich die Öffentlichkeit dafür hassen würde. Manchmal bin ich still. Oft auch nicht. Ich bin auch keineswegs unglücklich, wenn Leute mir nicht zustimmen. Das nennt man Konversation!

STANDARD: Welche Zeitungen lesen Sie, wenn ich fragen darf?

Knightley: Ich lese den Guardian und die New York Times. Am Wochenende auch gerne die Financial Times. Wenn ich das sage, bekomme ich gleich das Gefühl, dass ich ein paar rechte Blätter miteinbeziehen sollte, um nicht ganz in einer Echokammer zu landen!

STANDARD: Braucht es mehr Menschen wie Katharine Gun?

Knightley: Katharine hat eine Art Schwarz-Weiß-Denken, das normalerweise der Jugend vorbehalten ist – das ist richtig, das ist falsch. Deswegen wurde sie oft als naiv bezeichnet. Doch vielleicht ist Naivität auch manchmal für etwas gut. Katharine hat ein moralisches Gewissen. Sie traf ihre Entscheidung, weil sie daran glaubte, Menschen retten zu können. Sie kannte die Risiken und tat es trotzdem – nicht viele Menschen würden das tun. Nicht nur wir Engländer machen zu gerne das, was uns angeschafft wird. (Dominik Kamalzadeh, 16.11.2019)